Kurier (Samstag)

Küsst euch!

WARUM WIR BEIM KÜSSEN DIE AUGEN SCHLIESSEN UND 9 WEITERE LIPPEN-ERKENNTNIS­SE

- VON JULIA PFLIGL

Schmusen. Küssen. Knutschen. Zetteln. Für die (zweit-)schönste Nebensache der Welt haben sich viele Namen etabliert – immerhin verbringt der Mensch fast fünf Monate seines Lebens mit dem romantisch­en Speichelau­stausch. Damit das so bleibt, wird seit 1990 am 6. Juli erinnert, wie viel in so einem Kuss steckt. Er hält gesund und trägt möglicherw­eise zum Weltfriede­n bei. Um es mit dem Lieblingss­pruch der GroßstadtH­ipster zu sagen: Es keat mehr gschmust!

Warum küssen wir einander überhaupt auf den Mund?

Die Wissenscha­ft liefert verschiede­ne Erklärunge­n zur KussEntste­hung. Sigmund Freud war überzeugt, Küssen sei ein Instinkt, zu beobachten schon bei Neugeboren­en, die an der Mutterbrus­t saugen. Zoologen nehmen an, dass das Küssen vom Mund-zu-Mund-Füttern der Affenelter­n kommt, andere sehen darin eine Weiterentw­icklung des Schnüffeln­s am Hinterteil – mit dem aufrechten Gang habe sich die Kontaktauf­nahme nach oben verlagert. Warum sich das Küssen in der Evolution durchgeset­zt hat, erklärte die US-Forscherin Sarah Woodley so: Beim Speichelau­stausch wird die Immunfähig­keit des potenziell­en Partners kontrollie­rt. Je verschiede­ner die Immunität, desto widerstand­sfähiger die Nachkommen. Küssen sei also ein Hilfsmitte­l bei der Partnerwah­l.

Wird in glückliche­n Beziehunge­n häufiger geknutscht?

Küssen schafft Nähe, Bindung und Intimität. Rafael Wlodarski, Psychologe an der University of Oxford, befragte 900 Menschen aus 20 Ländern zu ihrem Kussverhal­ten und stellte Überrasche­ndes fest: Wie oft sich Paare küssen, steht in direktem Zusammenha­ng mit der Zufriedenh­eit der Beziehung. Wie oft sie miteinande­r schlafen, nicht.

Nein. Eine Studie des Kinsey-Instituts in Indiana kam zu dem Ergebnis, dass nicht einmal die Hälfte aller Völker das Küssen mit den Lippen praktizier­t. Weit verbreitet sei der mit Liebe oder Sexualität verbundene Kuss auf den Mund vor allem in Asien und Europa, im Nahen Osten und in Nordamerik­a, fand der Anthropolo­ge Justin Garcia heraus. Bei afrikanisc­hen Völkern südlich der Sahara, auf Neuguinea oder in Zentralame­rika spiele der romantisch­e Kuss eher keine Rolle. Durch die Globalisie­rung und Migration halten es Forscher aber für möglich, dass sich der Kuss weiter verbreitet.

Wird überall geküsst?

Auch Tiere küssen, wenn auch selten und nicht aus romantisch­en Gründen. Wenn Bonobos, also Zwergschim­pansen, die Lippen aufeinande­rpressen, dann zum Stressabba­u oder zum Spiel. Bei Vogelarten gehört das Schnäbeln zum Paarungsve­rhalten.

Und wie ist das bei Tieren?

Ja! Darüber besteht in der Medizin Konsens. Im Idealfall wirkt es sexuell anregend, aber nicht nur das: Ein chemischer Cocktail aus den Botenstoff­en Oxytocin, Dopamin und Serotonin macht glücklich und entspannt, Lunge und Herz werden trainiert, die Blutgefäße weiten sich, der Stresspege­l sinkt. Je nach Intention und Leidenscha­ft werden pro Minute bis zu 20 Kalorien verbrannt und 34 Gesichtsmu­skeln aktiviert. Auch das Immunsyste­m freut sich über den Speichelau­stausch (wen es interessie­rt: 80 Mil

Ist Küssen wirklich so gesund?

lionen Bakterien pro 10 Sekunden). Paare, die häufig knutschen, haben eine ähnliche Mundflora und trainieren so ihre Abwehrkräf­te. Im Grunde gibt es also nichts, was so ein Kuss nicht kann.

Wer küsste cher? Wie klingt track? Küssen sich der rote in die ideale Lippen Geschichts­bü

Kate und William. Britney und Madonna. Clark Gable und Vivien Leigh. Honecker und Breschnew. Geknutscht wird viel, nur wenige Küsse sind legendär: Der heiß ersehnte Hochzeitsk­uss auf dem Balkon des Buckingham Palace war dann doch eher ein Bussi, die Popdiven züngelten medienwirk­sam bei den MTVAwards, Gable und Leigh ließen im Klassiker „Vom Winde verweht“die Zuseher schmachten. Weniger romantisch ist der sozialisti­sche Bruderkuss, zu bestaunen an der Berliner East Side Gallery. Und: Das Lippenziel muss nicht menschlich sein, damit der Kuss historisch wird. So pressten Papst Johannes Paul II. und Alfred Gusenbauer ihre Lippen auf fremden Boden, Olympiasie­ger Usain Bolt busselte seinen güldenen Laufschuh.

Warum erinnern wir unseren ersten Kuss? uns ewig besser? an

Auch, wenn er Jahrzehnte zurücklieg­t: Die Erinnerung an den ersten Kuss taucht sofort vor dem geistigen Auge auf. Neurologen begründen das mit den starken Emotionen, die bei solchen Ereignisse­n entstehen. Dafür zuständig ist die Amygdala – eine Gehirnregi­on, die eng mit demHippoca­mpusin Verbindung steht, der wiederum beim Einspeiche­rn neuer Gedächtnis­inhalte eine Schlüsselr­olle spielt. Ein anderer Ansatz kommtausde­rPsycholog­ie: Die Bussi-Premiere bleibt uns deshalb im Gedächtnis, weil sie das Eintreten ins Erwachsene­nleben markiert.

Kuss-Sound

Die Partnerver­mittlung eDarling und der Streamingd­ienst Spotify fragten vor fünf Jahren 600 Singles nach ihren Lieblingsl­iedern für den ersten Kuss. Platz 3: „Diamonds“von Rihanna. Platz 2: „I Just Called To Say I Love You“von Stevie Wonder. Platz 1: „Someone Like You“von Adele. Verwunderl­ich, handelt die Piano-Ballade doch von einer Trennung nach einer langjährig­en Beziehung.

Cliff Richard besang sie schon in den 1960ern, verschiede­ne Studien bestätigte­n die verführeri­sche Wirkung rot geschminkt­er Lippen. Eine Lippen-Erkenntnis: Wer besonders anziehend wirken möchte, greife zu dunkelrote­m Lippenstif­t. Übrigens, schon Katharina die Große wusste um die Macht der Signalfarb­e. Mangels Make-up soll die Zarin ihren Hofdamen befohlen haben, an ihren Lippen zu beißen und saugen, bis sie prall und rosig waren.

Warum schließen wir beim Küssen die Augen?

2016 legten Londoner Psychologe­n eine Studie vor, auf die die Welt gewartet hat. Dass wir nie mit offenen Augen knutschen, liegt nicht an der Vorbildfun­ktion von Hollywoods­chnulzen, sondern an unserem Gehirn: Dieses wäre überforder­t damit, visuelle und Sinnesreiz­e gleichzeit­ig zu verarbeite­n. Also schließen wir unbewusst die Augen, um das Kusserlebn­is intensiver wahrzunehm­en.

Also dann – Augen zu und durch!

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