Warum Ibiza der FPÖ kaum schadet
Wahl. Trotz Skandals und Wechsels an der Spitze liegt die Partei in der Wählergunst vergleichsweise konstant
Wenn Norbert Hofer heute, Samstag, in Graz auch formal zum Chef der Freiheitlichen gewählt wird, ist damit der Ibiza-bedingte Wechsel an der Parteispitze auch formal erledigt.
Gut zwei Wochen vor der Nationalratswahl steht die FPÖ weit besser da, als man kurz nach dem überraschenden Rücktritt von HeinzChristian Strache im Mai vermuten durfte.
In allen Umfragen liegt die FPÖ derzeit bei rund 20 Prozent. Das wäre im Vergleich zum Wahlergebnis von 2017 zwar ein Minus von sechs Prozentpunkten. Aber keine Rede von einem dramatischen Absturz wie anno 2002, als die erste schwarzblaue Regierung an Knittelfeld zerbrach und die FPÖ von 26,9 auf 10 Prozent fiel.
Warum ist diesmal alles anders? Warum schadet die Affäre den Freiheitlichen wenig bis gar nicht? Der KURIER hat einige Gründe gefunden:
Ibiza gilt nicht als Partei-Affäre.
Ibiza ist kein Skandal der FPÖ, sondern der Protagonisten des Videos, also von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus. So zumindest sieht die Mehrzahl der FPÖ-Sympathisanten die Sache. „Bei der Ibiza-Affäre war eine hochgradige Personalisierung zu beobachten“, sagt Politikwissenschafter Fritz Plasser. „Und die hat die Angelegenheit für Straches Nachfolger Herbert Kickl und Norbert Hofer um ein Vielfaches leichter gemacht.“
Unwissenschaftlich ausgedrückt: Mit jedem Mal, mit dem das Ibiza-Video gezeigt bzw. angesehen wurde, hat sich insbesondere unter den freiheitlichen Sympathisanten der Eindruck verfestigt, nur Strache und Gudenus seien das Problem. „Außer den beiden“, sagt Plasser, „kam im Video und in der öffentlichen Debatte ja kein hochrangiger FPÖ-Funktionär vor.“
Mit dem vergleichsweise raschen Rücktritt der beiden Spitzenfunktionäre schon am Tag nach Veröffentlichung des Videos war die Angelegenheit in der Wahrnehmung vieler FPÖler schon wieder erledigt.
Die FPÖ hat die OpferRolle kultiviert – und profitiert nun davon. Im Unterschied zur schwarzblauen Regierungskrise von 2002 wandern diesmal weit weniger Wähler von der FPÖ zur Volkspartei ab.
Der Grund: „Sebastian Kurz kann den FPÖ-Wählern nicht schlüssig erklären, warum er die Koalition hat platzen lassen“, sagt FPÖ-Intimkenner Ewald Stadler. „Sie fühlen sich als Opfer und halten zusammen. Strache wurde Opfer einer Falle, Kickl ist ein Opfer, weil er aus der Regierung geworfen worden ist.“Die Opfer-Rolle wird dadurch verstärkt, dass eine überwiegende Mehrheit der FPÖ-Sympathisanten – laut Experte Plasser sind es 85 bis 90 Prozent – extrem zufrieden mit der türkis-blauen Regierung waren und sich eine Fortsetzung wünschen.
Die FPÖ profitiert weiterhin vom Migrationsthema.
Im Vergleich zum Nationalratswahlkampf 2017 spielen die Themen „Migration und Asyl“zwar in den öffentlichen Wahlkampf-Diskussionen und -Auseinandersetzungen eine weitaus geringere Rolle. „In der Empfindung der Bevölkerung gehört das Zuwanderungsthema aber immer noch zu den drei wichtigsten Themen“, sagt Experte Plasser. Das schlägt sich naturgemäß auch in der Zustimmung zu den Freiheitlichen nieder, die nach wie vor stark mit dem Migrationsthema assoziiert werden.
Apropos Inhalte: Die Freiheitlichen haben unter den Parlamentsparteien de facto ein Monopol darauf, wenn es gegen „das Establishment“oder „die Eliten“geht. Nicht von ungefähr hat man bei Fragen der Gesundheit (Stichwort: Rauchen), des Verkehrs (Stichwort: höhere Tempolimits) oder auch der Gleichberechtigung von Männern und Frauen über die Jahre beharrlich Positionen eingenommen, die gegen den Mainstream sind. Die Konsequenz: Wähler, die diese Positionen teilen, bleiben der FPÖ mangels Alternativen treu.
Die Doppelspitze Kickl/Hofer mobilisiert deutlich.
In den meisten Fällen schlittern Parteien früher oder später in Schwierigkeiten, wenn sie hochrangige Funktionen (Parteivorsitz, Kanzleramt etc.) auf zu viele verschiedene Personen aufteilen.
Im FPÖ-Wahlkampf bringt die Doppelspitze Kickl-Hofer derzeit aber Vorteile – und pusht Umfrage- und Zustimmungswerte zumindest vorübergehend. „In einer Mobilisierungsphase kann man mit verschiedenen Charakteren auch verschiedene Wählergruppen ansprechen“, sagt Analyst Plasser. Spätestens mit Beginn der Regierungsverhandlungen müsse sich Hofer aber deutlich von Kickl lösen. „Denn bei Koalitionsverhandlungen kann es in jeder Partei nur einen geben, der die Letztverantwortung und -entscheidung hat“, sagt Plasser. „Andernfalls sind die Gespräche eher zum Scheitern verurteilt.“