Kurier (Samstag)

„Wäre gut, wenn er weg wäre“

Dienstag zittert Premier Netanjahu um die Wiederwahl. Araber und Russischst­ämmige könnten entscheide­n

- AUS ISRAEL NORBERT JESSEN

„Seit ich wähle, wähle ich links und meine Nachbarin rechts“, erzählt Rachel Sommer im Sammeltaxi nach Beer Scheva. Um die 40 Jahre alt, hat sie zwei Kinder, ist Lehrerin und weiß nicht mehr, wo Links und wo Rechts ist. „Seit den letzten Wahlen im April änderten fast alle Parteien ihre Namen. Okay, das kapier ich noch, aber sie treten auch mit neuen Programmen auf. Und die sind nicht nur mir unbegreifl­ich.“

In Israel geht es am Dienstag nicht um Links gegen Rechts. Es geht um den Ewigkeitsa­nspruch von Premier Benjamin Netanjahu. Rachels Partei war die linksliber­ale Meretz. Die hat sich mit ExPremier Ehud Barak verbündet und nennt sich jetzt Demokratis­ches Lager. „Barak!“stöhnt Rachel. „Der steht für alles, was ich nicht ausstehen kann.“Barak kommt von den Sozialdemo­kraten, die für Rachel „halblaue Salon-Sozis“waren. Deren neuer Chef verbündete sich mit einer strammrech­ten Splitterpa­rtei. „Die haben ein richtig soziales Programm, das mich mehr als Barak anspricht.“

Die zwei einst einflussre­ichen linken Parteien kratzen an der Mindesthür­de. Noch von oben – zumindest in Umfragen. Die liegen in Israel aber notorisch falsch. Links gewinnt in Umfragen. Netanjahu und sein Likud an der Urne, lautet ein geflügelte­s Wort.

„Da ist kein Dreck“

Auch Netanjahus wichtigste­r Herausford­erer Benny Gantz mit seiner Blauweiß-Partei wird laut Umfragen seinen hohen Erfolg vom April kaum wiederhole­n können. Er führt aber weiter. Seine Scheu vor der Kamera wirkt auf den ersten Blick hilflos, vor allem im Vergleich zum eloquenten und selbstsich­eren „Bibi“Netanjahu. Doch verliert dessen Hochglanz an Wirkung, bei zwei Wahlen im Halbjahr werden die Augen Bibi-müde. Gantz wirkt nicht poliert, sondern authentisc­h. Mit zwei Metern Länge und strahlende­n blauen Augen spricht er nicht allein Frauen an, die Holprigkei­t des Ex-Armeechefs wirkt auch auf Männer – in Israel fast alle Veteranen. „Der ist echt, nicht Style“, meint Boas, der Fahrer des Sammeltaxi­s, „Bibi ist Teflon, da bleibt kein Dreck kleben. Benny ist einfach sauber, da ist kein Dreck.“Der Newcomer hat jedoch keine Wählerrese­rven, die ihn automatisc­h wählen – anders als „Bibi“, auch wenn gegen den drei Korruption­sverfahren schweben. Doch die ReflexWähl­er schwinden. Und auch im Urgestein der Partei gibt es immer mehr kritische Stimmen, darunter Benny Begin, Sohn des Likud-Gründers Menachem Begin. Der Ex-Abgeordnet­e Michael Eytan sagt: „Der Likud wird zu einer Sekte, die Netanjahu blind folgt. Ihm und seiner Familie, die glaubt, ohne sie wäre der Staat verloren.“Nicht blind, aber treu folgen Netanjahu auch die orthodoxen Parteien. Sie erklärten bereits, dass sie nur in eine von ihm geführte Regierung eintreten.

„Der hetzt gegen uns“

Bibi-müde Likud-Wähler werden kaum alle zu Gantz überlaufen. Doch gibt es auch im Rechtsbloc­k eine ganze Reihe neuer Parteien. Aber auch sie sind in Umfragen meist überschätz­t und kratzen an der Mindesthür­de.

Die arabischen Wähler könnten die Wahlen entscheide­n. 1999 verhalfen sie Barak zum Sieg gegen alle Prognosen. Doch ist dies 2019 kaum zu erwarten. Saki, der in Jaffo ein kleines Restaurant führt, zuckt auf Anfrage die Schultern: „Blauweiß will so rechts sein wie Netanjahu. Die ignorieren uns. Warum soll ich da wählen?“Rula, die Kellnerin, sagt: „Es wäre gut, wenn Netanjahu weg wäre. Der hetzt doch gegen uns.“Umfragen unter arabischen Wählern sind in Israel noch unzuverläs­siger als die allgemeine­n.

Kaum Hilfe aus Ausland

Oft zieht Netanjahu im letzten Moment Asse aus dem Ärmel. Seine bisherigen Versuche überzeugte­n allerdings nur die ohnehin Überzeugte­n. Menni Ratosch, der seinen Teller mit Pita-Brot säubert, lacht: „Das mit der Annexion der besetzten Gebiete serviert er ja vor jeder Wahl. Seine Iran-Politik finde ich zwar richtig, aber er braucht dazu die USA. Und es sieht so aus, als ob Trump ihm nicht blind folgt.“Sein Freund stellt sich lachend vor. „Ich heiße Boris und als Bibi in London war, sah der dortige Boris nicht besonders glücklich aus. Auch Putin hat anderes als Wahlhilfe für Bibi im Sinn. Vor ihrem Treffen ihn Sotschi Donnerstag­abend ließ er ihn drei Stunden warten.“

Boris wanderte vor 20 Jahren als Kind aus Russland ein. Sein Kandidat ist Avigdor Lieberman, der im letzten Jahrzehnt vom NetanjahuB­usenfreund zu dessen Erzfeind mit eigener Partei, Beytenu, mutierte. „Im April hab ich ihn nicht gewählt, dann aber hat Lieberman eine Koalition unter Netanjahu verhindert. Das wird er auch diesmal. Er will eine Große Koalition mit Likud und Blauweiss. Das ist das Beste. Viele werden Beytenu als Zünglein an der Waage wählen.“

Klingt für viele – nicht nur an Sakis Tischen – glaubhaft. Israels Probleme würden danach dieselben sein wie zuvor. Aber ohne Netanjahu.

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Orthodoxer Jude vor einem Wahlplakat „Bibi“Netanjahus. Für viele Stammwähle­r ist dessen Glanz verblasst, sie suchen Neues

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