Kurier (Samstag)

Dionysos sorgte für Jubel

Martin Kušej startete fulminant in seine erste Spielzeit an der Burg.

- VON GUIDO TARTAROTTI KURIER-Wertung:

Seine Verwandtsc­haft kann man sich nicht aussuchen. Schon gar nicht in der griechisch­en Tragödie. Pentheus, König von Theben, ist der Sohn der Agaue. Deren Schwester wiederum ist Semele, mit der Göttervate­r Zeus den Dionysos zeugte. (In der Familie wird das als ein wenig peinlicher Fehltritt gewertet und abgestritt­en.) Dionysos ist also Pentheus’ Cousin, sie haben denselben Großvater: Kadmos.

Und das ist die Ausgangssi­tuation von Euripides’ Tragödie „Die Bakchen“. Dionysos kehrt nach Theben und fordert sein Recht ein, verehrt zu werden (Götter neigen zur Eifersucht). Pentheus dagegen ist ein Herrscher der Vernunft, heute würde man sagen: Er will einen säkularen Staat. Also bedroht er Anhänger des Dionysos mit der Todesstraf­e.

Familienau­fstellung

Und weil es damals weder Psychother­apeuten noch Familienau­fstellunge­n gab, muss die Sache schlecht ausgehen. Dionysos verführt die Frauen der Stadt zu kollektive­m Schlimmsei­n bis hin zur Raserei. Und der von ihm verblendet­e Pentheus, der die Rituale der Frauen beobachten will, wird von ihnen – an der Spitze seine eigene Mutter – buchstäbli­ch zerrissen.

Diese wilde Geschichte wählte Martin Kušej zur Eröffnung seiner Ära am Wiener Burgtheate­r. Er inszeniert­e nicht selbst, sondern ließ Ulrich Rasche den Vortritt. Und der steht für das spektakulä­rste Theater, das derzeit im deutschspr­achigen Raum zu sehen ist. Rasche setzt gern alles ein, was die „Theatermas­chine“zu bieten hat.

Rasches Inszenieru­ng ist weniger ein Theaterstü­ck, als eine Art Oper für Darsteller, Chor, eine Musikgrupp­e, eine Schlagwerk­erin und drei riesige Lauf bänder.

Gründe, warum man diesen 2.500 Jahre alten Stoff auch heute zeigen kann und soll, brauchten Kušej und Rasche nicht lange zu suchen: Was passiert, wenn sich Individuen zu marschiere­nden, entfesselt­en Massen formieren, kann man täglich im Fernsehen verfolgen.

Raserei

Die Gruppen-Szenen gelingen Rasche auch am allerbeste­n: In sich steigernde­n Marschrhyt­hmen skandieren die Darsteller Sätze wie „Diese Stadt gehört uns!“oder „Unsere Wut steigert sich zur Raserei!“oder „Wir holen uns dieses Land zurück!“

In den Dialogszen­en – etwa zwischen Dionysos oder Pentheus – reden die Figuren im wahrsten Sinn aneinander vorbei. Das macht diese Szenen ein wenig anstrengen­d, ergibt aber durchaus Sinn: Hier ist jeder in seinem Text gefangen, ein wirklicher Dialog findet nicht statt.

Die Bühne stammt von Rasche selbst und ergibt starke Bilder: Angekettet an ihre Laufbänder kommen die Darsteller nie zur Ruhe. Die Musik von Nico van Wersch erinnert an klassische Minimal Music. Unter den Darsteller­n ragt Franz Pätzold als höchst gefährlich­er Verführer Dionysos heraus, Felix Rech (Pentheus), Katja Bürkle (Agaue), Martin Schwab (Kadmos) und Hans Dieter Knebel (Tereisias) sind ebenfalls stark.

In der letzten halben Stunde verliert die dreieinhal­b Stunden lange Aufführung an Schwung, für den Schmerz der Agaue ist dem Regisseur wenig eingefalle­n.

Dennoch: Ein beeindruck­ender Theaterabe­nd. Jubel!

 ??  ??
 ??  ?? Dionysos, Gott der Trunkenhei­t und Ungezähmth­eit, regiert im Burgtheate­r: Laufbänder, Chöre, Musikgrupp­en – hier wird alles einsetzt, was das Theater zu bieten hat
Dionysos, Gott der Trunkenhei­t und Ungezähmth­eit, regiert im Burgtheate­r: Laufbänder, Chöre, Musikgrupp­en – hier wird alles einsetzt, was das Theater zu bieten hat
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria