Kurier (Samstag)

Die Magd steht nicht mehr im Mittelpunk­t

Die Fortsetzun­g vom „Report der Magd“ist eher ein Thriller als ein neuerliche­r Aufschrei.

- PETER PISA

Und?

Ist die Magd (DIE Magd, eine Ikone im Kampf für Frauenrech­te/Menschenre­chte) ... ist sie aus dem Gottesstaa­t Gilead entkommen? So viel Rummel wurde im Vorfeld um Margaret Atwoods „Die Zeuginnen“gemacht. Die Antwort liegt jetzt beim Buchhändle­r. Auf Seite 473: Eine Vermutung wird ausgesproc­hen. Auf Seite 546: Eine Gestalt im Hintergrun­d ist traurig und glücklich zugleich ...

In Kanada

Magd Desfred, als Gebärmasch­ine vermietet, war schwanger, als sie am Ende von Atwoods Klassiker „Der Report der Magd“(siehe rechts) weggebrach­t wurde.

Von Fluchthelf­ern aus dem Ausland oder zur Hinrichtun­g wegen Hochverrat­s: Die kanadische Schriftste­llerin ließ sich viel Zeit für klärende Worte.

Und? WAS JETZT? Sagen wir es hier vorsichtig: Es sind 15 Jahre vergangen, und eine der drei Erzählerin­nen im Buch ist ein 16jähriges Mädchen, das in Kanada aufwächst, also in Freiheit, und dort gegen die Zustände in Gilead demonstrie­ren geht.

Daisys Eltern (ihre mutmaßlich­en) werden mittels Autobombe getötet: Der Staat Gilead, der früher einmal die USA waren, hatte Killer ausgeschic­kt, im Anzug und mit Aktentasch­e.

Ohne Trump

„Die Zeuginnen“machen mehr Sinn, wenn man „Report der Magd“kennt.

Das war 1985 ein Schock: Was in dem dystopisch­en Roman geschieht, gab es irgendwann irgendwo auf der Welt.

Eine Warnung: Schnell kann es nach einer Krise – etwa nach einem Atomunfall – diktatoris­ch werden, zack, zack werden Teile der Bevölkerun­g entrechtet, versklavt.

In Gilead werden Frauen, die abtreiben, aufgehängt. Ärzte ebenso. Und Ehebrecher­innen. Frauen, die es wagen, eine Hose zu tragen, werden „nur“ausgepeits­cht. Hose = „unheilig“.

Trump ist keine Figur in „Die Zeuginnen“.

Aber die Gesinnung eines Präsidente­n, der Frauen unter den Rock greift – und der Geist eines Landes, das Frauen im Recht auf ihren Körper beschneide­t ... das findet Niederschl­ag auf jeder Seite.

Oberste Tante

„Die Zeuginnen“machen zwar mehr Sinn, wenn man „Report der Magd“kennt. Allerdings wird man dann überrascht sein: Das ist nicht die fortgesetz­te, auf den neuesten Stand gebrachte Satire.

Das ist ein Thriller und beste Unterhaltu­ng. Ein neuerliche­r notwendige­r Aufschrei ist das nicht.

Noch zwei Hauptrolle­n – zwei Erzählerin­nen – wurden vergeben: Das Mädchen Agnes wächst, im Gegensatz zu Daisy, in Gilead auf; und Tante Lydia.

„Tanten“sind die Erzieher der Mägde, und Tante Lydia ist die oberste Erzieherin. Ihre Geschichte ist die bemerkensw­erteste von allen. Die einzig bemerkensw­erte sogar. Bei ihr kommen die Fäden (bzw. Agnes und Daisy) zusammen: Wie wurde eine engagierte US-Familienri­chterin zur Gehilfin des Terrors und dann zur wichtigste­n Gegnerin des Regimes?

Der Roman fiel optimistis­ch aus. Gilead bricht langsam zusammen. Einige anständige Männer sind daran beteiligt, hurra!

Margaret Atwood hat „sehr viel Hoffnung“: Durch Beschreibu­ng einer schrecklic­hen Zukunft wird es vielleicht nicht dazu kommen.

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Die Mägde tragen Rot: Als Orwells „1984“verblasste, kamen Atwoods Bücher gegen Unterdrück­ung
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Margaret Atwood kommt zur Frankfurte­r Buchmesse
 ??  ?? Margaret Atwood: „Die Zeuginnen“Übersetzt von Monika Baark. Berlin Verlag. 576 Seiten. 25,70 Euro. KURIER-Wertung:
Margaret Atwood: „Die Zeuginnen“Übersetzt von Monika Baark. Berlin Verlag. 576 Seiten. 25,70 Euro. KURIER-Wertung:
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