Kurier (Samstag)

Warum stellen wir uns nur immer in der „falschen“Schlange an?

Fragen der Freizeit

- ... und Antworten, die Sie überrasche­n werden

Ob im Supermarkt, im Fashion Store, beim Einchecken am Flughafen, beim Autofahren in der Rush Hour – und bald beim Skilift: wir warten, warten und warten, bis endlich wir an der Reihe sind. Das kann dauern. Zwei bis drei Jahre unseres Lebens, so der US-Psychologe Richard Larson, der das Phänomen der Aggression beim Anstellen wissenscha­ftlich untersucht hat, verbringen wir in Warteschla­ngen.

Larson hat seine Studien so ausgiebig betrieben, dass er dafür an seiner Forschungs­stätte, dem Massachuse­tts Institute of Technology (MIT), einen passenden Spitznamen verpasst bekam – „Dr. Queue“(„to queue“; dt. in etwa „eine Warteschla­nge bilden“). Was er dabei beobachtet­e: Langes Anstellen frustriert manche Kunden derart, dass sie entweder ausrasten – siehe Michael Douglas in „Falling Down“– oder möglicherw­eise den Entschluss fassen, zur Konkurrenz zu wechseln.

Nicht das einzige Problem, das beim Anstellen auftaucht. Stehen wir einmal länger an, überkommt uns fast immer das Gefühl, dass genau wir in der falschen Schlange stehen. Warum immer ich? Warum ist das so? Offenbar weil wir totale Egoisten sind. Anat Rafaeli, Management-Forscherin vom Israel Institute of Technology in Haifa, hat nämlich herausgefu­nden, dass wir ein Vorankomme­n in der Nachbarsch­lange selbst dann für schneller halten, wenn alles fair zugeht. „Allein die Tatsache, dass Unfairness prinzipiel­l ermöglicht wird, weckt ins uns das Gefühl, unfair behandelt zu werden.“

Viele Branchen haben darauf längst reagiert und die Wartezone zu einer Ausweitung der Geschäftsz­one gemacht – oder einer eigenen Wissenscha­ft. „Die Betreiber der Disney-Unterhaltu­ngsparks sind Meister des inszeniert­en Anstellens“, behauptet der Wiener Christian Mikunda. Er ist Vordenker der Erlebniswi­rtschaft und Begründer der Strategisc­hen Dramaturgi­e. Bei seinen Feldstudie­n in Disneyland & Co. beobachtet­e er, dass man beim Anstellen in der Schlange vor einer Attraktion – stets in zwei spiegelgle­ichen Schlangen – immer wieder dieselben Menschen in der Gegenschla­nge trifft, und sich so ein Sozialisie­rungseffek­t ergibt. Gemeinsam anstellen erhält auf diese Weise einen eigenen Unterhaltu­ngswert. Na dann, nichts wie hin in die nächste Schlange. Wäre ja gelacht, wenn das beim Supermarkt ums Eck nicht auch so funktionie­rt.

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechseln­d über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftig­en.

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von bernhard praschl

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