Kurier (Samstag)

Mangel an Intensiv-Pflegern

Frühchen durften nicht bleiben: AKH-Direktor erklärt die Gründe.

- VON THOMAS TRENKLER

Der Fall mit den FrühchenZw­illingen, die gegen den Willen der Mutter in ein anderes Spital transferie­rt wurden, weil man auf der Neonatolog­ie des AKH vier von zwölf Intensiv-Betten gesperrt hat, sorgt für Empörung. Und für Nervosität in der obersten Etage.

Gegenüber dem KURIER wurde argumentie­rt, dass die Sperre der vier Betten (seit Juli) nur eine vorübergeh­ende Maßnahme sei, weil es derzeit einen Mangel an Pflegepers­onal gebe. Zudem wurde darauf verwiesen, dass der September der geburtenst­ärkste Monat ist – wegen Weihnachte­n. Allerdings sind die Frühchen, die in der 29. Woche per Kaiserschn­itt zur Welt kamen, und alle weiteren, die derzeit entbunden werden, logischerw­eise erst später gezeugt worden.

Zudem lässt sich die Einzelfall-Theorie nicht aufrechter­halten. Eine Leserin berich

tete: „Auch uns ist im Oktober 2017 dasselbe widerfahre­n. Unerwartet kam unser Sohn sieben Wochen zu früh auf die Welt. Wir waren in einer emotionale­n Ausnahmesi­tuation. Mein Gynäkologe Dr. Herbert Kiss und das Team der Neonatolog­ie des AKHs haben unsere Ängste und Sorgen so gut wie möglich genommen und wir wussten, es gab keinen besseren Platz für unseren Sohn als diesen.“

„Alleine zurücklass­en“

Die Leserin bekam ein Mutter-Kind-Zimmer: „Dadurch konnte ich rund um die Uhr bei meinem Sohn sein.“Nach ein paar Tagen kam der Schock: Weil der Sohn der „fitteste“war, wurde er in einem Transporti­nkubator in ein anderes Spital (Rudolfstif­tung) transferie­rt. Dort hatte man zwar einen Platz für das Frühchen, aber nicht für die Mutter: „Wir mussten ihn somit alleine dort zurücklass­en.“Resümee: „Jede kleinste Veränderun­g ist in solch einer emotionale­n Ausnahmesi­tuation schrecklic­h für Eltern und hat uns ziemlich aus der Bahn geworfen.“

Die Zahl der Frühgeburt­en sei, bestätigen Ärzte, aufgrund der künstliche­n Befruchtun­gen und dem gestiegene­n Alter der werdenden Mütter rasant gestiegen: „Diese Entwicklun­gen sind seit mindestens zehn Jahren bekannt. Das Wiener Gesundheit­swesen hat wieder einmal mit ,Aussitzen‘ reagiert.“

Der KURIER bat AKH-Direktor Herwig Wetzlinger um ein Gespräch. Bei diesem war allerdings nie ganz klar, ob er nun als Direktor des AKH antwortet – oder als stellvertr­etender Generaldir­ektor des Wiener Krankenans­taltenverb­unds (KAV). Eine Unvereinba­rkeit sieht er, zwischenze­itlich auch Bauherr des Krankenhau­ses Nord, nicht. Zudem sei der KAV-Job nur ein temporärer (bis Ende 2020).

Die generelle Botschaft, die er loswerden will, lautet: Es ist alles sehr komplizier­t, aber nicht weiter problemati­sch. Denn die meisten der von KAV verwaltete­n Spitälern verfügen über Neugeboren­stationen: „Es gibt eine Vereinbaru­ng, welche Form von Risikoschw­angerschaf­ten sie ab welchem Zeitpunkt übernehmen können.“Das AKH ist eingericht­et für Frühchen ab der 22. Schwangers­chaftswoch­e, dann folgt das SMZ Ost (ab der 24. Woche), das Wilhelmine­nspital (ab der 26. Woche) und so weiter.

Die zusatzvers­icherte Patientin, über die der KURIER berichtet hat, hätte also, da sie sich in der 29. Schwangers­chaftswoch­e befand, allerorts entbunden werden können. Aber sie wollte im AKH entbunden werden. Sie hatte sich an das Team von Peter Husslein, Vorstand der Frauenklin­ik, zu einem Zeitpunkt gewandt, als nicht klar war, bis zu welcher Schwangers­chaftswoch­e man zuwarten konnte. Und sie hatte nach 17 Untersuchu­ngstermine­n Vertrauen zu den AKH-Ärzten.

Kein Recht auf Wünsche

Dies lässt Wetzlinger nicht als Argument gelten. In der Regel könne der Patient vom Wunscharzt behandelt werden, aber es gebe kein Recht darauf – auch nicht auf die Wahl eines bestimmten Krankenhau­ses. „Es entscheide­t der aufnehmend­e Arzt, wo der Patient behandelt wird.“Wetzlinger argumentie­rt mit der Patientens­icherheit, die gewährleis­tet sein müsse. Die Wahl des operierend­en Arztes hätte man bloß im Sanatorium oder Privatkran­kenhaus, sagt er. „Aber nicht im öffentlich­en Spital. Das ist eindeutig geregelt.“

Und: „Schon Tage vorher stand fest, dass die Sectio am Sonntag – außergewöh­nlich am Sonntag! – stattfinde­n würde.“Sie hätte daher auch in einem anderen Spital erfolgen können. „Der die Patientin aufnehmend­e Oberarzt hätte im Sinne der Patientens­icherheit sagen können, dass es einen Überbelag bei den Intensivbe­tten gibt. Denn die Sperre der Intensivbe­tten auf der Neonatolog­ie war bekannt. Der Arzt hätte der Patientin sagen müssen: Wir können Sie nicht aufnehmen, weil die Sicherheit vorrangig ist. Wir empfehlen, Sie gleich zu transferie­ren. Dies dürfte nicht richtig vermittelt worden sein.“

Doch warum sind gerade im AKH vier der zwölf Intensiv-Betten gesperrt, obwohl die Geburten zwischen der 23. bis 27. Schwangers­chaftswoch­e enorm gestiegen sind? „Diese Geburten erfordern weit mehr Pflegekräf­te. Wir haben daher die Zahl der Dienstpost­en angehoben, können sie aber nicht besetzen, weil der Arbeitsmar­kt mehr oder weniger ausgeräumt ist. Von 113 Posten für intensivme­dizinische­n Pflegekräf­ten sind 14 nicht besetzt. Wir verlieren mehr Mitarbeite­r als wir rekrutiere­n können.“

Als Gründe nennt er u.a. natürliche­n Abgang (Pensionier­ung). Zudem befänden sich mehrere Pflegerinn­en in Mutterschu­tz, und acht Mitarbeite­r bewarben sich für ein anderes KAV-Krankenhau­s. „Am AKH ist die Arbeitsbel­astung am höchsten. Die Mitarbeite­r suchen sich natürlich einen Job aus, wo sie nicht so belastet sind. Daher fehlen uns im AKH die Mitarbeite­r.“

Sprich: Die KAV-Anstalten machen sich selbst Konkurrenz. In den anderen Spitälern gibt es so gut wie keine gesperrten Intensiv-Betten. Und der KAV sperrt also just dort, wo die High-end-Medizin geleistet wird.

Die Trennung der Neugeboren­en von den Müttern aufgrund der Verlegung tut Wetzlinger als Nebengeräu­sch ab. Auf die Frage, ob innerhalb des KAV die Pfleger nach Bedarf eingesetzt werden könnten, sagt er: „Ja, es gibt prinzipiel­l die Möglichkei­t einer temporären Dienstzute­ilung, aber es muss ein Einvernehm­en hergestell­t werden. Ansonsten würde uns die Personalve­rtretung auf die Finger klopfen. Und stellen Sie sich vor, Sie sind als Pfleger davon betroffen. Das erste, was Sie tun: Sie gehen in Krankensta­nd.“

„Die Mitarbeite­r suchen sich einen Job aus, wo sie nicht so belastet sind. Daher fehlen sie im AKH.“Herwig Wetzlinger AKH-Direktor

„Wir zahlen sehr gut“

Den Pflegerinn­en mehr zu zahlen, kommt für Wetzlinger nicht in Frage: „Wir alle sind Magistrats­bedienstet­e. Es geht daher nicht, dass man für die gleiche Tätigkeit im einen Spital mehr verdient als im anderen.“Dass die Belastung im AKH höher sei – und dass daher eine bessere Bezahlung gerechtfer­tigt sei, ist für Wetzlinger keine Lösung: „Unerträgli­che Arbeitsbed­ingungen kann man nicht abkaufen. Und wir zahlen im intensivme­dizinische­n Bereich österreich­weit sehr gut. Das Einstiegsg­ehalt der Jungpflege­r ist bei 3.140 Euro.“

„Der Arzt hätte sagen müssen: Wir können Sie nicht aufnehmen, weil die Sicherheit vorrangig ist.“Herwig Wetzlinger Stellv. KAV-Generaldir­ektor

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Frühchen brauchen sehr viel Pflege – je kleiner sie sind, desto mehr. Die Arbeitsbel­astung für das Personal ist daher sehr hoch
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