Große Ziele, kleine Schritte
Vor UN-Klimagipfel. Merkels Koalition präsentiert ein Klimaschutzpaket; Aktivisten sind enttäuscht
Während auf den Straßen Europas, ja der ganzen Welt, am Freitag lautstark für einen Wandel in der Klimapolitik skandiert wird, beginnt er im Berliner Regierungsviertel mit einem zähen Knirschen.
Sessel werden zurechtgerückt. Nach und nach nehmen Kanzlerin Angela Merkel und die Parteichefs der Großen Koalition Platz – hier im Futurium, dem Haus der Zukunft in Berlin, will man heute Großes verkünden. Doch die Kanzlerin muss mit einem neuen Versprechen beginnen: Die Klimaziele bis 2020 werden nicht eingehalten, dafür wolle man jene für 2030 erreichen, so Merkel. Dazu will man künftig einen Preis auf den Ausstoß von CO2 erheben; und alle weiteren Maßnahmen einer jährlichen Überprüfung unterziehen.
Den Menschen, die indessen draußen demonstrieren, wird das nicht reichen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, hallt es im Regierungsviertel. Laut den Veranstaltern von Fridays-For-Future zogen 270.000 Menschen durch Berlin. Schon zu Mittag waren die S-Bahn-Züge Richtung Innenstadt voll mit Eltern, Kindern, Schülergruppen und Senioren.
Mit Blick auf die Proteste versucht Merkel den Schulterschluss; lobt diese und Greta Thunberg. Was sie an der 16-Jährigen beeindrucke, sei der Satz: „Unite behind the Science“(Versammelt euch hinter der Wissenschaft, Anm.): Immerhin gibt es „massive“wissenschaftliche Belege für den Klimawandel, sagt Merkel. „Es ist nicht so, dass wir hier irgendetwas Ideologisches machen, sondern wir machen etwas, wofür es massive Evidenzen gibt.“
(Zu) klein anfangen
Von einem Reporter darauf hingewiesen, dass Forscher eine viel höhere CO2-Bepreisung einfordern, als es die Koalition in ihrem Klimapaket vorsieht, rechtfertigte sie sich so: „Wir fangen niedrig an, um auch Menschen mitzunehmen.“Es wäre immerhin ein Paradigmenwechsel, dass man CO2 bepreise, sagt Merkel. Einen Preis soll es im Verkehr und bei Gebäuden geben – über einen Handel mit Zertifikate. Eine Tonne CO2 soll 2021 zehn Euro kosten, bis 2025 soll der Preis auf 35 Euro steigen. Laut Klimaforschern seien 50 Euro pro Tonne CO2 ein sinnvoller Einstiegspreis, der bis 2030 auf 130 Euro steigen müsse.
Doch so weit will die Regierung nicht gehen, 60 Euro gilt als Obergrenze. Fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas werden jedenfalls verteuert. Als Ausgleich will man höhere Pendlerpauschale zahlen. Zudem werden Bahntickets billiger, Flüge teurer, den Ausbau von erneuerbaren Energien will man forcieren – wie ist noch unklar. Und: Wer seine alte Ölheizung gegen eine klimafreundliche austauschen lässt, bekommt eine Prämie. Klimaschutz müsse „sozial verträglich“sein, betont Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Merkel in New York
Mit diesem Paket wird die Kanzlerin also nach New York zum UN-Sondergipfel fahren, wo am Montag die Staatsund Regierungschefs über Klimaschutzmaßnahmen beraten. In Berlin ist man sich sicher, damit „ein internationales Zeichen“zu setzen, sagt Markus Söder (CSU). Er spart nicht mit Selbstlob und spricht von einem „eindrucksvollen Zurückmelden“der Koalition.
Anders beurteilen das Demonstranten und Klimaforscher. Luisa Neubauer von der FFF-Bewegung spricht von einem „Schlag ins Gesicht“. Für Ottmar Edenhofer Direktor, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, ist das Paket ein „Dokument der Mutlosigkeit“. Die Klimaziele werde die Bundesregierung bis 2030 so nicht erreichen.
Kritik kommt auch aus der Opposition. Grünen-Chef Robert Habeck kritisiert die Pendlerpauschale: „Das ist wirklich Unsinn, weil damit ja belohnt wird, lange Wege zu fahren.“Weitere Diskussionen werden vermutlich folgen: Das Klimapaket muss durch Bundestag und Bundesrat. Gut möglich, dass es auf dem Weg zum Klimaschutz noch etwas knirscht. Aktionstag. In New York führte Greta Thunberg die „Fridays for Future“-Proteste an – und überall auf der Welt gingen Schüler und Erwachsene auf die Straße. Erstmals auch ein paar hundert Jugendliche in Neu-Delhi in Indien: „Die Eliten hier denken, dass sie sich alles kaufen können – auch saubere Luft –, und die Armen haben schon genügend Probleme, um sich auch noch um die Klimakrise zu kümmern“, erklärte Bhavreen Kandhar, die Mutter zweier Schülerinnen. „Noch wollen es die meisten nicht wahrhaben.“Indien, mit 1,3 Milliarden Einwohnern der drittgrößte CO2-Emittent der Welt, leidet stark unter den Auswirkungen des Klimawandels. Es gibt extreme Hitzewellen, extremen Regen, gleichzeitig Dürre und Wassermangel. Wer es sich leisten kann, verwendet in der vom Smog belasteten Hauptstadt Neu-Delhi Luftfilter.
Insgesamt fanden in mehr als 150 Ländern Aktionen statt, die meisten davon in Deutschland, wo fast in jeder Stadt gestreikt wurde. Auf den Plakaten war zu lesen: „Kurzstreckenflüge nur für Bienen“oder „Dieser Planet wird heißer als mein Freund“.
Begonnen hatte der Protest zeitbedingt in Australien: Zehntausende Schüler blieben dort dem Unterricht fern. In der Stadt Alice Springs legten sich Hunderte Menschen auf den Boden und stellten sich tot. Auch auf den Philippinen kam es zu Aufmärschen. Ebenso in Thailand.
Der Jugend-Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York startet heute, Samstag. Am Montag folgt der UN-Klimagipfel mit Staatsund Regierungschefs.
Weltweiter Massenprotest für bessere Klimapolitik