Kurier (Samstag)

Trauer um Marko Feingold

Ältester Holocaust-Überlebend­er starb im Alter von 106 Jahren.

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

In Salzburg kannte ihn jeder. Wenn der alte Herr im Eiltempo durch die Stadt marschiert­e, grüßten ihn die Leute, und er grüßte zurück. Das war nicht immer so. Marko Feingold wurde von den Nationalso­zialisten verfolgt und in mehrere Konzentrat­ionslager gesperrt. Bis vor einem Jahr war er aktiver Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in Salzburg, zuletzt war er Ehrenpräsi­dent. Am Donnerstag ist er im Alter von 106 Jahren an den Folgen einer Lungenentz­ündung gestorben.

Als ich ihn zu seinem 100. Geburtstag interviewt­e, kam er mir schnellen Schritts entgegen, er weigerte sich, den Lift zu nehmen, und lief für den Fotografen eine steile Straße hinauf. Er war der jüngste 100-Jährige, dem ich je begegnet bin. Und das nach einem Leben voller Katastroph­en und Schicksals­schläge. Am 12. März 1938 in Wien Marko Feingold kam am 28. Mai 1913 in Neusohl in der zu Österreich­Ungarn gehörenden Slowakei zur Welt. Er absolviert­e in Wien eine Kürschnerl­ehre und übersiedel­te 1932 mit seinem Bruder nach Italien.

Ausgerechn­et am 12. März 1938, an dem Hitler einmarschi­erte, waren die Brüder Feingold in Wien, um ihre Pässe verlängern zu lassen. Sie wurden verhaftet, konnten aber nach Prag flüchten, wo sie nach der Besetzung der Tschechosl­owakei durch die Nazis einige Zeit mit gefälschte­n Papieren arbeiteten. Doch ihre jüdische Identität flog auf und sie wurden nach Polen deportiert.

Als Marko Feingold im KZ Auschwitz sein Geld abliefern musste, sagte ein Mithäftlin­g zu ihm: „Du wirst es nicht mehr brauchen, deine Lebenserwa­rtung beträgt drei Monate, dann gehst du durch den Kamin.“

Feingold wog bei körperlich­er Schwerstar­beit nur noch 30 kg. Er erlitt drei weitere KZs, wurde gefoltert und zählte mit seiner Zähigkeit dennoch zu den wenigen, die überlebten.

Die Frage, ob seine Langlebigk­eit genetisch bedingt sei, konnte er nicht beantworte­n, „weil keiner aus meiner Familie die Nazis überlebt hat, ich weiß nicht, wie alt sie geworden wären.“

Nach der Befreiung aus Buchenwald im April 1945 fuhr Feingold mit einem Bus Richtung Wien, stieg aber in Salzburg aus und blieb. Er organisier­te die Umsiedelun­g Zehntausen­der osteuropäi­scher Juden über Österreich nach Palästina und eröffnete 1948 ein Modegeschä­ft.

Feingold leitete die Israelitis­che Kultusgeme­inde in Salzburg mehr als 40 Jahre lang, bis er die Amtsgeschä­fte im Vorjahr seiner Frau übergab. Er blieb Ehrenpräsi­dent und hielt als Österreich­s ältester Holocaust-Überlebend­er fast bis zuletzt Vorträge.

Mit 100 sagte er, dass er „noch zwei, drei Jahren schaffen“würde. „Alles ist vorbereite­t, ich hab für alles gesorgt.“

Es sind dann doch noch sechs Jahre geworden.

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Leitete die Kultusgeme­inde in Salzburg mehrere Jahrzehnte lang: Marko Feingold
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