Ein Schwarzmarkt der anderen Art
Beim „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“im Wiener Rathaus gibt es nicht weniger als 252 Gespräche rund um das Rote Wien.
Was man tatsächlich bekommt, weiß man am Schwarzmarkt vorher ja nie. Dort ist alles immer mehr oder weniger unberechenbar – was es gibt, wie viel davon und wer es hat. So ähnlich ist das auch am „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“, der am 28. September im Wiener Rathaus gastiert. Das Gut, das dort ge- und verhandelt wird, heißt Wissen und ist in sehr unterschiedlichen Ausformungen verfügbar.
Überthema des Abends, den die Mobile Akademie Berlin in Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen ausrichtet, ist „Das Rote Wien. 1919 - 2019 - 2119“und die Zeitspanne, die dieser Titel umfasst, deutet schon an, wie groß die inhaltliche Bandbreite sein wird. Es geht um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt, ihrer Bewohner und um das Wissen, das diese hier immerfort schaffen.
Der „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und NichtWissen“findet jedes Mal in einer anderen Stadt Europas statt. „Überall suchen wir zuerst ein Thema, um das sich lokales Wissen angehäuft hat“, sagt Hannah Hurtzig von der Mobilen Akademie Berlin, die das Format mitbegründet hat. Danach wird das Motto in Unterkategorien und Subthemen aufgedröselt.
Am Ende kommt bei diesem Prozess eine Unmenge möglicher Themen zusammen. Das Wissen dazu wird schließlich in Form der Experten in einem Raum versammelt und auf einen Erzählvorgang heruntergebrochen: auf die direkteste Form der Wissensvermittlung, den Dialog.
Fachleute und Besucher treffen dann wie beim Speeddating aufeinander und tauschen sich aus. Auf der einen Seite eines Zweier-Tisches sitzt je ein lokaler Experte eines bestimmten Bereichs – gegenüber nimmt ein Besucher Platz.
Dabei ist es allerdings wahrscheinlich, dass man als Besucher zwar mit bestimmten Fragen ins Rathaus kommt, dann aber Antworten auf ganz andere kriegt. Die Plätze bei den einzelnen Gesprächen werden nämlich erst vor Ort für je einen Euro verkauft. Man muss im Zweifelsfall also nehmen, was man kriegt. Schwarzmarkt eben.
Jedes Gespräch dauert 30 Minuten, danach ändern sich die Dialogkonstellationen. Besucher können allerdings auch zuhören, ohne selbst zu diskutieren (siehe Infokasten). Geschichten der Stadt Die Hintergründe der teilnehmenden Experten sind vielfältig (siehe Porträts unten). Autoren wie Clemens J. Setz oder die Schauspielerin Mavie Hörbiger nehmen ebenso teil, wie Journalisten, Lehrer, Kulturschaffende und Menschen aus der Politik und dem Gemeindebau. Aber auch Fachleute aus Wissenschaft und angewandter Forschung – von der Stadtsoziologin bis zur Weltraumarchitektin (Interview rechts) – werden im Festsaal Fragen beantworten.
Wie in allen Städten hat auch in Wien ein lokales Kuratorenteam die Mobile Akademie Berlin unterstützt: die Kunstwissenschafterin Gudrun Ratzinger, die Künstlerin Romana Bund, der Dramaturg und Publizist Claus Philipp, die Architektin Gabu Heindl sowie die beiden Kuratoren Susanne Wernsing und Alexander Martos.
Wernsing und Martos haben bereits als Gäste je einen „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“miterlebt. Susanne Wernsing fand dabei unter anderem interessant, dass „es ein spannendes Format ist, Diskurse zur Aufführung zu bringen.“Das hat es auch Alexander Martos angetan. „Ich war verzaubert davon“, so Martos,
„wie man die üblichen Redeweisen der Wissenschaft verrücken kann und Positionen fast kathedralenhaft versammelt. Es diskutieren verschiedene Leute – und das gleichzeitig und nebeneinander. Das hat schon fast etwas Bienenstockartiges.“
Abseits von allem, was am Schwarzmarkt an Fragen beantwortet wird, wirft das Format zwischen Installation, Performance, Theater und Speed Dating auch Fragen auf: Was ist eigentlich Wissen und wo bekommt man es? Wie viel und was sollte man wissen? Und wie ist das mit der Informationsflut, die täglich über uns hereinbricht?
Für Susanne Wernsing ergab sich beim Kuratieren noch eine andere Frage: „Welche Positionen im Roten Wien sind wenig bekannt oder wurden ausgeschlossen?“Der Abend im Rathaus dürfte zeigen, dass es eine Menge und sehr spannende sind.