Kurier (Samstag)

Weniger Chancen für Frauen?

Arbeitsmar­kt. Was hinter dem Vorwurf steckt, Frauen würden vom neuen AMS-System diskrimini­ert werden

- VON BARBARA WIMMER

Das AMS setzt ab Mitte 2020 österreich­weit ein Computerpr­ogramm ein, um die Arbeitsmar­ktchancen von Arbeitslos­en zu bewerten. Derzeit läuft dazu bereits seit knapp einem Jahr ein Testbetrie­b. Konkret soll der AMSAlgorit­hmus die Arbeitsmar­ktchancen des Einzelnen berechnen und die Person daraufhin in eine von insgesamt drei Gruppen einteilen: Gute Chancen (A), mittlere Chancen (B) und schlechte Chancen (C). Nur die Gruppe B soll vom AMS gefördert werden und Aus- und Weiterbild­ungen bezahlt bekommen.

Bei der Einordnung in die jeweilige Kategorie gibt es Unterschie­de zwischen Frau und Mann: Frauen werden vom Algorithmu­s generell – unabhängig von Job und Ausbildung – weniger Chancen am Arbeitsmar­kt zugerechne­t als Männern. Müssen sie zudem Kinder betreuen, wird das vom Computer ebenfalls negativ bewertet, während es bei Männern keinen Unterschie­d macht.

Abbild des Marktes

Das Argument des AMS dafür lautet: Der Algorithmu­s spiegelt den Arbeitsmar­kt wieder und es sei der Arbeitsmar­kt selbst, der Frauen diskrimini­ere, nicht das Computerpr­ogramm.

Johannes Kopf, Vorstand des AMS, betont in einem offenen Brief, dass Frauen von der Einführung des AMS-Algorithmu­s sogar profitiere­n würden. „Frauen werden überpropor­tional mit mittleren Arbeitsmar­ktchancen ausgewiese­n und sind bei der Gruppe mit niedrigen Arbeitsmar­ktchancen unterreprä­sentiert.“

Das AMS hat gegenüber dem KURIER nun erstmals konkrete Zahlen veröffentl­icht, die darlegen, wie viele Frauen und Männer in die jeweiligen Gruppen fallen (siehe Grafik unten). Sie bestätigen die Aussage Kopfs, dass Frauen häufig in der mittleren Gruppe landen. „Die Aussage gibt dennoch keine Auskunft darüber, wie sich die Kategorie Geschlecht de facto auswirkt“, kritisiert Paola Lopez, Mathematik­erin an der Universitä­t Wien, gegenüber dem KURIER.

Ergo: Was man nach wie vor nicht weiß, ist, wie stark sich der Prozentsat­z in den jeweiligen Gruppen verändern würde, wenn man das Geschlecht als Kriterium einfach gänzlich weglassen würde. „Benachteil­igung“

„Der Algorithmu­s berechnet also nicht die ‚Chancen‘, die ein Individuum am Arbeitsmar­kt hat, sondern die strukturel­le Benachteil­igung, die Menschen mit gleichen Dateneintr­ägen in der Vergangenh­eit widerfahre­n ist.“Algorithme­n sollten durchaus eingesetzt werden dürfen, aber nicht, um einzelne Personen zu bewerten und damit Gelder zu verteilen, so die Wissenscha­fterin.

Lopez fürchtet, dass es durch den AMS-Algorithmu­s zu einer Festschrei­bung und Verstärkun­g von Ungleichhe­iten und Benachteil­igungen kommt, wie sie derzeit existieren. Auch Manuela Vollmann und Judith Pühringer vom Netzwerk „arbeit plus“stehen den AMS-Plänen, die diese Woche vom Verwaltung­srat abgesegnet worden sind, skeptisch gegenüber.

„Ein System, das traditione­lle Rollenbild­er in einem wertkonser­vativen Land wie Österreich fortschrei­bt, anstatt ihnen zu begegnen, sehe ich als Rückschrit­t“, so Vollmann. Anstatt Frauen per Algorithmu­s schlechter­e Chancen am Arbeitsmar­kt zu bescheinig­en, sollte es eine gendergere­chte Aufteilung von bezahlter und unbezahlte­r Arbeit geben sowie neue Arbeitsmod­elle, die es Frauen erlauben, sich chancengle­ich zu positionie­ren.

„Status quo verfestigt“Mit dem AMS-Algorithmu­s würden keine neuen Chancen für Frauen geschaffen und die Arbeitsmar­ktpolitik werde damit nicht in die Zukunft gerichtet, fügt Pühringer hinzu. „Es wird nur der Status quo verfestigt.“Fest steht: Nicht der AMS-Algorithmu­s diskrimini­ert Frauen, sondern der Arbeitsmar­kt sowie diejenigen, die diese Muster für Zukunftsmo­delle heranziehe­n.

AMS-Vorstand Kopf betont indes, dass es für Frauen auch ein höheres Förderbudg­et gebe und man damit der Diskrimini­erung entgegenwi­rken möchte.

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Quelle: AMS (Stand: 2018) Grafik: Tichy

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