Weniger Chancen für Frauen?
Arbeitsmarkt. Was hinter dem Vorwurf steckt, Frauen würden vom neuen AMS-System diskriminiert werden
Das AMS setzt ab Mitte 2020 österreichweit ein Computerprogramm ein, um die Arbeitsmarktchancen von Arbeitslosen zu bewerten. Derzeit läuft dazu bereits seit knapp einem Jahr ein Testbetrieb. Konkret soll der AMSAlgorithmus die Arbeitsmarktchancen des Einzelnen berechnen und die Person daraufhin in eine von insgesamt drei Gruppen einteilen: Gute Chancen (A), mittlere Chancen (B) und schlechte Chancen (C). Nur die Gruppe B soll vom AMS gefördert werden und Aus- und Weiterbildungen bezahlt bekommen.
Bei der Einordnung in die jeweilige Kategorie gibt es Unterschiede zwischen Frau und Mann: Frauen werden vom Algorithmus generell – unabhängig von Job und Ausbildung – weniger Chancen am Arbeitsmarkt zugerechnet als Männern. Müssen sie zudem Kinder betreuen, wird das vom Computer ebenfalls negativ bewertet, während es bei Männern keinen Unterschied macht.
Abbild des Marktes
Das Argument des AMS dafür lautet: Der Algorithmus spiegelt den Arbeitsmarkt wieder und es sei der Arbeitsmarkt selbst, der Frauen diskriminiere, nicht das Computerprogramm.
Johannes Kopf, Vorstand des AMS, betont in einem offenen Brief, dass Frauen von der Einführung des AMS-Algorithmus sogar profitieren würden. „Frauen werden überproportional mit mittleren Arbeitsmarktchancen ausgewiesen und sind bei der Gruppe mit niedrigen Arbeitsmarktchancen unterrepräsentiert.“
Das AMS hat gegenüber dem KURIER nun erstmals konkrete Zahlen veröffentlicht, die darlegen, wie viele Frauen und Männer in die jeweiligen Gruppen fallen (siehe Grafik unten). Sie bestätigen die Aussage Kopfs, dass Frauen häufig in der mittleren Gruppe landen. „Die Aussage gibt dennoch keine Auskunft darüber, wie sich die Kategorie Geschlecht de facto auswirkt“, kritisiert Paola Lopez, Mathematikerin an der Universität Wien, gegenüber dem KURIER.
Ergo: Was man nach wie vor nicht weiß, ist, wie stark sich der Prozentsatz in den jeweiligen Gruppen verändern würde, wenn man das Geschlecht als Kriterium einfach gänzlich weglassen würde. „Benachteiligung“
„Der Algorithmus berechnet also nicht die ‚Chancen‘, die ein Individuum am Arbeitsmarkt hat, sondern die strukturelle Benachteiligung, die Menschen mit gleichen Dateneinträgen in der Vergangenheit widerfahren ist.“Algorithmen sollten durchaus eingesetzt werden dürfen, aber nicht, um einzelne Personen zu bewerten und damit Gelder zu verteilen, so die Wissenschafterin.
Lopez fürchtet, dass es durch den AMS-Algorithmus zu einer Festschreibung und Verstärkung von Ungleichheiten und Benachteiligungen kommt, wie sie derzeit existieren. Auch Manuela Vollmann und Judith Pühringer vom Netzwerk „arbeit plus“stehen den AMS-Plänen, die diese Woche vom Verwaltungsrat abgesegnet worden sind, skeptisch gegenüber.
„Ein System, das traditionelle Rollenbilder in einem wertkonservativen Land wie Österreich fortschreibt, anstatt ihnen zu begegnen, sehe ich als Rückschritt“, so Vollmann. Anstatt Frauen per Algorithmus schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt zu bescheinigen, sollte es eine gendergerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit geben sowie neue Arbeitsmodelle, die es Frauen erlauben, sich chancengleich zu positionieren.
„Status quo verfestigt“Mit dem AMS-Algorithmus würden keine neuen Chancen für Frauen geschaffen und die Arbeitsmarktpolitik werde damit nicht in die Zukunft gerichtet, fügt Pühringer hinzu. „Es wird nur der Status quo verfestigt.“Fest steht: Nicht der AMS-Algorithmus diskriminiert Frauen, sondern der Arbeitsmarkt sowie diejenigen, die diese Muster für Zukunftsmodelle heranziehen.
AMS-Vorstand Kopf betont indes, dass es für Frauen auch ein höheres Förderbudget gebe und man damit der Diskriminierung entgegenwirken möchte.