Kurier (Samstag)

FABELHAFTE­welt

- Vea Kaiser vea.kaiser@kurier.at

Ich erinnere mich an keinen einzigen Sonntagsti­sch, an dem meine Familie nicht über Politik diskutiert­e. Man muss dazusagen: Niederöste­rreichisch­e Sonntagsti­sche dauern mindestens von 11.30 bis 19 Uhr. Da wird nach Suppe und üppiger Hauptspeis­e ein Dessert serviert, ehe man Kaffee trinkt, zu dem man natürlich Kuchen speist, woraufhin Speck aufgeschni­tten wird, denn wir alle haben nach Süßem das dringende Bedürfnis, etwas Salziges zu naschen. Kurz darauf folgt eine anständige Jause. Dann erst fallen alle um. Wenn man sich die Ausdehnung solcher Essen vor Augen führt, ist klar, dass alle Belange des Lebens besprochen werden, natürlich auch die Politik. Von den verschiede­nen Familienmi­tgliedern werden alle Parteien gewählt (mit Ausnahme der FPÖ, die ist uns allen zu menschenve­rachtend), und dementspre­chend uneinig und hitzig können die Debatten am Sonntagsti­sch auch werden. Doch noch nie haben wir uns deshalb nachhaltig

zerstritte­n. In der Jugend der Großeltern führten solche Sonntagsdi­skussionen nämlich oft zu Handgreifl­ichkeiten. Mein Großvater, ein Eisenbahne­r und blutroter Kreiskyane­r, geriet regelmäßig mit den Brüdern meiner Großmutter, allesamt tiefschwar­ze niederöste­rreichisch­e Bauern, in einen solchen Disput, dass die Urgroßmutt­er sie in den Hof schickte, um dort zu raufen. Da mein Großvater fast zwei Meter groß und seit den Tagen, als er in der Mühle Kornsäcke schleppte, bärenstark war, seine vier Waldviertl­er Schwager jedoch nur knapp die 1,50 überschrit­ten hatten, waren diese Einergegen-vier-Rauferein durchaus ausgeglich­en und dauerten, bis einem der Hosenboden riss. Zurück im Haus wurden sie dann von ihren Frauen nach allen Regeln der Kunst ausgeschim­pft, und merkten, was wirklich schlimm und unbedingt zu vermeiden ist: nicht die Uneinigkei­t über politische Meinungen, sondern ein kaputter Hosenboden.

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