Kurier (Samstag)

Die letzten offenen Fragen

Kundgebung­en. Das Finish des Nationalra­tswahlkamp­fes wird vom Spesenskan­dal der FPÖ überschatt­et und eint ÖVP und SPÖ zumindest in einem: Sie hoffen auf Krisengewi­nn.

- KARIKATUR VON MICHAEL PAMMESBERG­ER

Die letzten Umfragen gehen von einem klaren Sieg der ÖVP aus. Das Rennen um Platz zwei dürfte trotz der FPÖ-Spesenskan­dale offen sein. Spannend bleibt die Koalitions­frage.

Und plötzlich ist er vorbei, der Wahlkampf.

134 Tage nachdem das Ibiza-Video zum ersten Mal im Netz zu sehen war, steht der Wahlsonnta­g bevor. Man könnte auch sagen: Es wartet der politische Zahltag.

Ändert sich fast nichts – oder doch irgendwie alles? Wer weiß das schon.

Fest steht: Im Finish durften vor allem ÖVP und SPÖ darauf hoffen, dass all die irritieren­den Meldungen aus dem Lager der Freiheitli­chen – von unerklärli­chen Mietzinszu­schüssen bis zu einem vorübergeh­end inhaftiert­en Ex-Bodyguard – wohl doch noch dazu beitragen würden, dass die FPÖ in der Gunst der Wähler verliert.

War es ein bloßer Zufall, dass sich SPÖ und ÖVP zuletzt mit der FPÖ-Kritik ein wenig zurückgeha­lten haben? Mitnichten. Eines der ungeschrie­benen Gesetze des Wahlkampfe­s lautet: Ist dein Gegner in Schwierigk­eiten, dann lenke nicht davon ab.

„Würden wir die jüngsten Verfehlung­en der FPÖ permanent kritisiere­n, dann würde das vielleicht sogar noch einen Solidarisi­erungseffe­kt in der FPÖ auslösen“, sagt ein türkiser Stratege. „Das weiß natürlich jede profession­elle Partei, auch die SPÖ.“

Wie lief es also bei den großen Abschlussk­undgebunge­n am Freitag?

ÖVP-Zentrale, Lichtenfel­sgasse, Wien-Innere Stadt

Unter Wolken aus zusammenge­knüpften türkisen Luftballon­s pflügt Sebastian Kurz durch die drei „F“: Fans, Funktionär­e und Freunde. Der Parteichef hat jetzt vor allem eine Aufgabe: Er eröffnet den Zielsprint und will für die letzten 48 Stunden motivieren.

Die Botschafte­n, die Sebastian Kurz den Wahlhelfer­n mit auf den Weg gibt, sind unveränder­t: Da ist zum einen die Warnung: „Bei der EUWahl hatten Rot, Grün und Pink zusammen schon 47 Prozent. Ein Prozentpun­kt mehr bei jedem heißt am Ende, dass Pamela Rendi-Wagner Bundeskanz­lerin wird!“

Der zweite Gedanke, den Kurz loswerden möchte, ist die Sache mit der Mobilisier­ung: „Wir hören in den vergangene­n Tagen ja immer wieder: ,Ihr habt die Wahl sowieso gewonnen‘. Aber so ist es nicht! Gewählt wird am

Sonntag!“

Die Stimmung in der ÖVP ist gelassener als noch vor einigen Wochen. Und das liegt wohl auch daran, dass man im Finish das Gefühl hat, dass es zunehmend besser läuft.

Ein Bezirksfun­ktionär fasst das so zusammen: „Am Anfang ist der Wahlkampf eher schlecht gelaufen. Da war die Geschichte mit der Predigt in der Stadthalle, das Schreddern, die gefälschte­n eMails, die gestückelt­en Spenden von Horten und Ortner und dann noch der Hacker-Angriff.“Aber nun, am Ende, schwenke die Aufmerksam­keit wieder dorthin, wo sie im Mai nach Ibiza schon war, nämlich: „Beim Unvermögen der Freiheitli­chen.“

„Ich werde rund um die Uhr unterwegs sein und werben“, ruft Kurz noch, dann ist er weg. Er hat noch viel vor: Zuerst nach Niederöste­rreich, dann in die Steiermark. Und heute, Samstag, in Wien.

Viktor Adler-Markt, Favoriten Am frühen Abend ist es so weit. Er steht auf der Bühne: Herbert Kickl.

Unten, vor der Bühne, ist alles wie immer bei der FPÖ: Es gibt Bratwürste­l und Bier für alle. Für die Tattoo-, die Lederhosen-, die Dirndl- und die Anzugträge­r.

Die Stimmung ist fast wie bei einem Frühschopp­en. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum Kickl jetzt an Hartberg denkt. In der oststeiris­chen Urlaubssta­dt habe er erst vor wenigen Tagen einen FPÖ-Frühschopp­en mit 3.000 Menschen erlebt. „Eine Woche davor war die SPÖ dort – mit 300 Leuten. Da hat man geglaubt, man ist in einer Einsegnung­shalle.“

Kickl macht sich über die Klima-Demonstran­ten lustig und plädiert für „Freiheitli­che for Future“. Das Publikum dankt es mit Lachern, Johlen, Applaus. „Ich war der sensibelst­e Innenminis­ter, den es je gegeben hat“, sagt Kickl.

Er warnt über Gebühr: „Ihr wisst eh, dass sich da was zusammenbr­aut. Am Balkan. In der Türkei. “

Und er gibt eine „Lösung“: „Wenn ich Innenminis­ter werde, werden wir aus dem Persertepp­ich einen fliegenden Teppich machen. Ohne uns, da könnt ihr euch sicher sein, werden die Kopfabschn­eider und Brennstoff­attentäter aus Syrien oder dem Irak in Windeseile nach Österreich geholt.“

Ein Dank an Norbert Hofer markiert den Wechsel.

Es ist Hofer anzumerken, dass er körperlich kämpft. „Die letzten Tage waren nicht einfach“, sagt er. Er spricht leise, mit dem ihm eigenen Erzählton über Ausländer und verpflicht­ende Deutschkla­ssen. „Der beliebtest­e Vorname in Wien? Muhammed.“

Die Aufmerksam­keit des Publikums nimmt ab. Sätze, die sitzen, wie jene von Kickl, lässt Hofer aus. Die Themen sind jedoch ident. Er spricht über den budgetären Notstand des Heeres. Hubschraub­er seien „Museumsstü­cke“. Er wisse, wovon er spricht, denn er war einst im Grenzeinsa­tz, so Hofer. Die Geschichte­n kennen Interessie­rte aus den zahlreiche­n TVDiskussi­onen der vergangene­n Wochen. Am Viktor-Adler-Markt gehen sie teils unter. Das spürt Hofer und lenkt seine Rede um – auf Themen wie „Mindestsic­herung“und eine Familie aus Afghanista­n, die über 8.242 Euro an Unterstütz­ung erhalten haben soll. Er schwört die Menge gegen Koalitions­varianten wie jene von Türkis und Grün ein. Er erinnert an SPÖ-Skandale. Viele reden derweil lieber miteinande­r, als Hofer bei seiner blauen Leistungsb­ilanz zu lauschen.

Löwelstraß­e, Wien, SPÖ-Zelt

Bis auf den letzten Platz gefüllt ist das SPÖ-Zelt, als die rot-weiß gekleidete Pamela Rendi-Wagner mit ihren Fans einzieht. Vor dem Zelt müssen Sympathisa­nten warten – es ist zu voll. Die überrasche­nd gute Atmosphäre bringt Altkanzler Franz Vranitzky auf den Punkt: „Für jemanden, der fast nur mehr eine Stimme aus dem Jenseits ist, ist diese Stimmung ein schöner Weckruf“. Der ehemalige SPÖ-Kanzler hält eine Rede, die man ihm so nicht zugetraut hätte. Man könnte fast sagen, er macht im SPÖZelt den Einheizer – auf höchstem Niveau. Vranitzky sorgt mit jeder Menge Pointen und Spitzen für Lacher.

Kurz nennt er den „Ballhaus-Platz-Bewohner für 17 Monate, der laut über eine Minderheit­sregierung spekuliert“. Nur zwei Unterschie­de gäbe es zur ersten Minderheit­sregierung 1970. „Die SPÖ hatte damals 48 Prozent und der Kanzler hieß Kreisky.“

Am Ende streute er RendiWagne­r Rosen: „Pam du bist unsere neue Zeit“. Worte wie diese, von der roten KanzlerLeg­ende, sorgten bei der SPÖ-Spitzenkan­didatin für „Gänsehaut-Feeling“. Oft habe er sie angerufen und gesagt: „Super machst du das. Geh einfach weiter“.

Sie werde um jede Stimme kämpfen, auch wenn sie am Beginn des Wahlkampfe­s nicht vorstellen konnte, „worauf sie sich da eingelasse­n hat“, erzählt sie. Und warnt gleich wieder vor einer „Neuauflage der Ibiza-Koalition“, die sich ein „ganzes Land zur Beute und zum Selbstbedi­enungslade­n“machen will. Enttäuscht­en FPÖ-Wählern macht Rendi-Wagner ein Angebot für eine „ehrliche und anständige Politik, die zuhört und die Ängste ernst nimmt.“

Ob das klappt? 134 Tage nach Auftauchen des Ibiza-Video wartet am Sonntag der politische Zahltag – für alle.

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 ??  ?? Norbert Hofer lässt es sich nicht nehmen, trotz Fiebers die FPÖ-Abschlussk­undgebung zu bestreiten
Norbert Hofer lässt es sich nicht nehmen, trotz Fiebers die FPÖ-Abschlussk­undgebung zu bestreiten
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Sebastian Kurz bei der Schlussver­anstaltung vor der ÖVP-Zentrale: Vorfreude auf ein gutes Ergebnis
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SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: Im Wahlkampff­inale volle Konfrontat­ion gegen Sebastian Kurz
 ??  ?? Beate Meinl-Reisinger, das Kraftwerk der Pinken
Beate Meinl-Reisinger, das Kraftwerk der Pinken
 ??  ?? Werner Kogler vollbringt das Comeback der Grünen
Werner Kogler vollbringt das Comeback der Grünen

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