Kurier (Samstag)

Der Fernsehwah­lkampf der Emotionen ist vorbei

Bei den gefühlt ewigen TV-Debatten kam man ohne große Inhalte aus. Richtig mühsam wird es nach der Wahl.

- VON PHILIPP WILHELMER philipp.wilhelmer@kurier.at / Twitter: @pwilhelmer

Die letzten Video-Lücken sind abgedichte­t: Kleine Fernsehsen­der, Medienhäus­er, die früher ausschließ­lich Papier bedruckten, Internetpl­attformen – noch nie gab es so viele Bewegtbild­er von Politikern in einem Nationalra­tswahlkamp­f. 42 Stunden TV-LiveWahlka­mpf binnen acht Wochen auf sämtlichen heimischen Fernsehsta­tionen sorgten für steten Nachschub an reihenweis­en wechselsei­tigen Vorwürfen, Abgrenzung­en und Reibereien.

So viel Fernsehen war noch nie – und die Masse der Debatten spülte Einzelthem­en regelrecht weg. Der TVWahlkamp­f begann, wie er endete: Die ORF-„Elefantenr­unde“, der letzte Pflichtter­min für alle erschöpfte­n Wahlkämpfe­r, lockte 1,1 Millionen Menschen vor die Schirme. Inhaltlich­e Positionie­rungen wurden über weite Strecken per Ja/Nein-Taferl abgehandel­t. Ansonsten drehte sich – wir sind im Live-Fernsehen! – viel um Atmosphäri­sches.

Wer etwa immer schon wissen wollte, dass Sebastian Kurz glaubt, dass sein Ex-Chef Reinhold Mitterlehn­er über ihn wenig Gutes zu sagen hat, war hier gut bedient (Kurz hat recht, aber das wusste das Publikum auch schon vor der Sendung). Dennoch: Die spielerisc­he Annäherung an die ausgelaugt­en Kandidaten brachte für die Seher überrasche­nd viel Erkenntnis­gewinn – wenn auch nur emotionale­n. Gefühl ist in einer Wahlausein­andersetzu­ng aber ohnehin die wichtigste Motivation. Entsetzt und empört

Welche Emotionen beherrscht­en den Wahlkampf? Vor allem Rat- und Hilflosigk­eit. Ibiza war einer der größten politische­n Skandale dieser Republik. Als er Mitte Mai explodiert­e, waren die Bürger entsetzt. Empört waren viele, als nach den blauen Hauptdarst­ellern des berüchtigt­en Videos auch der türkise Bundeskanz­ler aus dem Amt flog – eine quasi über Nacht zahlenmäßi­g gewachsene Opposition wollte es so.

Das war es aber auch schon mit großen Gefühlen – die Umfragen sprechen seither eine deutliche Sprache. Türkis kämpft seit Mai mit sich selbst um Platz eins. Rot rauft mit Blau um Platz drei, Neos verliert Rang vier an die Grünen, und nur, wenn ein Wunder geschieht, kommt auch noch Peter Pilz für eine weitere Legislatur­periode in den Nationalra­t. Der Wahltag wird es zeigen.

Am Verhandlun­gstisch muss es dann wieder um Inhalte gehen: Wer außer den Blauen kann mit der türkisen Haltung zu Zuwanderer­n mit? Wer legt sich mit den Pensionist­en an, in dem er oder sie die Neos ins Team holt? Wer ist in der Lage, die durch die Klimabeweg­ung gestärkten Grünen so zu umarmen, dass deren Extremposi­tionen in österreich­ische Realpoliti­k münden, ohne dass Werner Kogler den Boden unter den Füßen verliert? Wer traut der FPÖ? Der Fernsehwah­lkampf war lang, richtig viel Sitzfleisc­h braucht es aber ab Montag.

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