Kurier (Samstag)

Wahltag am Abgrund

Am Sonntag finden Präsidente­nwahlen statt – inmitten von Chaos und Krieg

- VON STEFAN SCHOCHER

Viel Zeit ist vergangen, seit die Wahlzettel gedruckt wurden. Das war im April. Und viel hat sich geändert seither. So stehen da etwa die Namen zweier Kandidaten, die es sich anders überlegt haben. 18 Kandidaten sind aufgeliste­t. Tatsächlic­h zur Wahl stehen aber nur 16. Zwei Bewerber haben zurückgezo­gen. Darunter einer, dem extrem gute Chancen gegeben worden waren. Aber bis zuletzt hatte überhaupt niemand so wirklich damit gerechnet, dass der Urnengang tatsächlic­h stattfinde­n würde.

Denn es war ein mühsamer Weg bis zu der Abstimmung am Sonntag. Ursprüngli­ch hätte im April gewählt werden sollen. Dann wurde auf Juli verschoben – und schließlic­h noch einmal auf den 28. September. Der offizielle Grund: Probleme bei der Organisati­on des Urnengange­s. Der inoffiziel­le und wohl eigentlich­e: Eine sich abzeichnen­de Einigung zwischen den USA und den Taliban auf einen Abzugsund Friedenspl­an. Der Abschluss eines solchen hätte sehr wahrschein­lich eine Übergangsf­ührung unter Beteiligun­g der Taliban beinhaltet – und Wahlen damit obsolet gemacht.

Als mitten in den ohnehin lauen Wahlkampf dann die Nachricht platzte, die USA und die Taliban hätten sich auf einen Deal geeinigt, schlief der Wahlkampf auch komplett ein. Er erwachte aber auch nicht mehr, als der Deal dann doch noch platzte. Denn danach spitzte sich die Sicherheit­slage im Land derart zu, dass an öffentlich­e Auftritte, die zuvor ohnehin praktisch nur in Kabul stattfande­n, gar nicht mehr zu denken war.

Am Sonntag wird jetzt dennoch gewählt – dort, wo es eben mehr oder weniger machbar erscheint. Von den 7.378 vorgesehen­en Wahlstatio­nen werden 2.005 aber gar nicht einmal aufsperren. Die Taliban kontrollie­ren weite Gebiete des Landes. Wahlkampf sieht dann so aus: Versammlun­gen in den Regionen gab es vereinzelt, die Kandidaten sprachen zu den Menschen dann aber via Mobiltelef­on oder Videoschal­tung.

Der maue Wahlkampf, die katastroph­ale Sicherheit­slage, Kämpfe, Anschläge, Morde, Drohungen der Taliban sowie die Frustratio­n resultiere­nd aus der desaströse­n Wahl 2014 lassen zudem eine äußerst niedrige Wahlbeteil­igung erwarten – und damit eine Wahl, deren Legitimitä­t schon vor der Abstimmung infrage stand. Hinzu kommt, dass die Ursachen für das Desaster von 2014 nie behoben wurden. Eine versproche­ne Reform des Wahlrechts gab es nie. Zweierrenn­en

Die Wahl 2014 hatte in totalem Chaos geendet. Ein offizielle­s Endergebni­s gab es nie – dafür eine ausverhand­elte Machtteilu­ng zwischen den stärksten Kandidaten: Ashraf Ghani wurde Präsident, Abdullah Abdullah wurde Regierungs­chef. Es sind diese beiden Herren, die auch jetzt als die aussichtsr­eichsten Kandidaten um das Präsidente­namt rittern.

Der, dem zugetraut worden war, dieses bittere Duell für sich nutzen und als siegreiche­r Dritter aus der Wahl hervorgehe­n zu können, hatte bereits Anfang August zurückgezo­gen: Mohammed Hanif Atmar, der auch als Hoffnungst­räger einer afghanisch­en Politik abseits ethnischer Grenzen galt. Offiziell begründete er seinen Rückzug mit Behördensc­hikanen, der Sicherheit­slage und damit, dass er (damals bestand Aussicht auf das US-TalibanAbk­ommen) den Frieden des Landes vor den eigenen Wahlerfolg stellen wolle.

Tatsächlic­h aber hatte die afghanisch­e Realität sein ethnisch breit aufgestell­tes Team aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Usbeken eingeholt: Es zerfleisch­te sich in internen Intrigen und Konflikten selbst.

Heute ist von einem Friedensde­al mit den Taliban jedenfalls keine Rede mehr. Auf die Absage des Abkommens durch die USA reagierten die Islamisten mit einer breit angelegten Offensive, der die afghanisch­en Sicherheit­skräfte nur mit internatio­naler Hilfe entgegenha­lten konnten. Derzeit sind 14.000 US-Soldaten in Afghanista­n stationier­t. Im Rahmen der NATO-Ausbildung­smission Resolute Support sind weitere rund 10.000 ausländisc­he Soldaten stationier­t.

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Ashraf Ghani (Poster) will Präsident bleiben – eines Landes, das am Rande des Kollaps steht: Die Taliban sind auf dem Vormarsch
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Abdullah Abdullah – jetzt will er an die Staatsspit­ze

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