Die Revolution beginnt im Labor
Pharmaforschung Österreich. Jährlich werden 300 Millionen für die Gesundheit der Bevölkerung investiert
Vor 70 Jahren, als die Weltgesundheitsorganisation WHO gegründet wurde, lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 47 Jahren. Heute sind es 73 Jahre.
Ein Hauptgrund für diese positive Entwicklung sind die zahlreichen Meilensteine in der Arzneimittelforschung. Erfindungen bei Medikamenten in Europa im
20. Jahrhundert wie Impfstoffe oder Blutdrucksenker gehören ebenso dazu wie die Entdeckung von Penicillin. Keine andere Branche leistet einen so zentralen Beitrag zur Verlängerung der Lebenszeit wie die Pharmaindustrie. Damit das so bleibt, ist auch die Bandbreite der Pharmaforschung in Österreich groß und vielfältig: Mehr als 300 Millionen Euro werden jährlich in die Ent icklung neuer Medikamente, Therapien und in Prozessoptimierungen investiert. Erfreulich ist auch, dass die Forschungsausgaben in den letzten Jahren stetig gestiegen sind. Davon profitieren letztendlich die Patienten, die in Österreich Zugang zu den innovativsten Therapien erhalten. Für die Ent icklung des Wohlstands sind die Leistungen der Pharmaindustrie ebenfalls ein wichtiger Eckpfeiler. Aktuell erwirtschaften heimische Unternehmen mit ihren Mitarbeitern direkt rund 5 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man auch noch die vor- und nachgelagerten Bereiche einbezieht, ergibt sich sogar eine indirekte Wertschöpfung von et a 10 Milliarden Euro. Damit leistet die Pharmaindustrie einen Beitrag von fast 3 Prozent zum gesamten Bruttoinlandsprodukt in Österreich.
Neue Therpieansätze Die Erforschung von Medikamenten hat sich in den vergangenen Jahren jedoch grundsätzlich verändert. Dabei gewinnen Arzneimittel auf Basis sogenannter Biologicals, also Eiweißmolekülen, immer größere Bedeutung. Es gibt kaum noch Therapieansätze, die in einem Land alleine ent ickelt werden. Im Zuge der Globalisierung ist die Forschung im Arzneimittelbereich immer internationaler, immer vernetzter geworden.
Ilse Bartenstein, Geschäftsführerin der G.L. Pharma sowie Obfrau der pharmazeutischen Industrie im Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs erzählt im KURIER-Interview über wichtige Ent icklungen der Branche, die Arzneiversorgung in Österreich und die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen.
KURIER: Welche innovativen Ent ick ungen gibt es derzeit in der heimischen Pharmabranche?
Ilse Bartenstein: In Österreich haben wir bestimmte Schwerpunkte bei der Entwicklung innovativer Medikamente. Aktuell werden etwa große Fortschritte in der Krebsforschung gemacht, bei denen auch die heimische Pharmabranche wichtige Beiträge leistet. Beispiele sind et a Gen- und Zelltherapien. Hier wird unter österreichischer Beteiligung an Wirkstoffen und Behandlungsformen geforscht, die in einigen Jahren die Bekämpfung von unterschiedlichen Krebsformen revolutionieren wird. Auch im Bereich der Verbesserung von Impfstoffen und bei der Optimierung von Prozessen bei der Arzneimittelherstellung gibt es starke Impulse von heimischen Unternehmen.
Die österreichischen Pharmaunternehmen investieren nicht nur v el Geld in die Ent ick ung neuer Medikamente, sondern auch in die Produktion und zeitnahe Bereitstellung von Arzneimitteln. Können Sie dazu mehr erzählen?
In kaum einem Land der Welt gibt es eine bessere Versorgung mit alltäglichen und lebenswichtigen Therapien als in Österreich. Neben innovativen Arzneimitteln spielt die breite Verfügbarkeit von Generika eine zentrale Rolle. Bei diesen konnten durch jahrelange Erfahrungen sogenannte „golden standards“in der Therapie etabliert werden. Dadurch konnten die Therapiekosten deutlich gesenkt und damit die Budgets unserer Krankenkassen für oft teurere neue Arzneimittel bereitgestellt werden.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für Pharmaindustrie in den nächsten Jahren?
Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit in einer immer stärker vernetzten Welt ist der Schlüssel für eine nachhaltig erfolgreiche Pharmabranche. Auch für den Bereich der Innovationen. Ein Blick auf die welt eiten Forschungsausgaben zeigt das deutlich. Während diese in den USA kräftig steigen und sich in China und Indien in den letzten fünf Jahren verdoppelt haben, stagnieren sie in Europa. Wir stehen bei der Ent icklung innovativer Medikamente zwar immer noch an der Weltspitze, aber das könnte sich bald ändern, wenn wir nicht gegensteuern.
Und welche Rolle spielt die Produktion der Generika in Zukunft?
In diesem Bereich ist der Preisdruck mittlerweile zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden. Mit den Herstellungskosten in Ländern wie China oder Indien kann ein europäisches Unternehmen klarerweise nicht mithalten, weil dort zu deutlich niedrigeren Preisen produziert wird. Bei allem Verständnis für den Spardruck der öffentlichen Hand: Es kann nicht sein, dass eine Packung Kaugummi mehr kostet als lebensnot endige Medikamente, die zahlreichen Qualitätsund Sicherheitsanforderungen entsprechen müssen. Diese Billigproduktion kann nur ohne Rücksicht auf Versorgungssicherheit und abweichenden Standards funktionieren. Bei der Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten müssen wir uns ernsthaft fragen, ob sich Österreich und Europa von Produktionen im fernen Asien weiter abhängig machen wollen.
Wie könnte Ihrer Meinung nach eine Lösung aussehen?
Entscheidend ist, dass es wirksame Medikamente nicht zum Schleuderpreis geben kann. Das gilt sowohl für die verlässliche, qualitativ hochwertige Produktion von Generika als auch für innovative Therapien. Um ein Arzneimittel zu ent ickeln, muss ein Unternehmen viel Zeit und Geld investieren. Der Prozess von der Ent icklung eines neuen Wirkstoffes zum fertigen und zugelassenen Produkt dauert im Durchschnitt 12 Jahre und kostet eine Milliarde Euro. Damit Unternehmen in Europa weiterhin in der Lage sind, neue Therapien zu erforschen, ist ein richtiger Maßnahmenmix aus angemessenen Preisen für Medikamente, eine ausreichende Forschungsförderung und ein Patentschutz, der weitere Innovationen ermöglicht, unverzichtbar. Nur so werden wir weiterhin an der Weltspitze bei der Ent icklung lebenswichtiger Arzneimittel bleiben und den Österreichern die bestmöglichen Medikamente zur Verfügung stellen können.
„Wir stehen bei der Entwicklung innovativer Medikamente immer noch an der Weltspitze, aber das könnte sich ändern, wenn wir nicht gegensteuern.“Dr. Ilse Bartenstein GF der G.L. Pharma