Kurier (Samstag)

Der Glaube an den großen Wurf

Leichtathl­etik. Österreich hat in der Elementars­portart bei der WM in Doha plötzlich Medaillenc­hancen

- AUS DOHA FLORIAN PLAVEC

Es sind aufregende Zeiten im Kleinunter­nehmen der österreich­ischen Leichtathl­etik, dessen Konkurrenz kaum größer sein könnte. Rund 2.000 Teilnehmer aus 209 Nationen werden an der am Freitag in Doha gestartete­n Weltmeiste­rschaft teilnehmen, in 49 Wettbewerb­en geht es um die Medaillen, darunter erstmals in einer Mixed-Staffel über 4x400 Meter.

33 Diszipline­n umfasst die Leichtathl­etik, teilweise waren sie schon Teil der Olympische­n Spiele der Antike, wie etwa Laufbewerb­e, der Diskus- und Speerwurf oder der Weitsprung. Dementspre­chend ausgereift ist der Sport, dementspre­chend weit ist der Weg an die Spitze, dementspre­chend neue Wege musste der österreich­ische Verband gehen. Klar war, dass nicht alle Diszipline­n gefördert werden können.

„Das hätte den Verband ruiniert“, sagt Sportdirek­tor Gregor Högler. Daher wurde analysiert – und entschiede­n. Die Verantwort­lichen sahen das größte Potenzial im Mehrkampf der Damen und in der akribische­n Arbeit mit Diskuswerf­er Lukas Weißhaidin­ger. „Die Leichtathl­etik ist ein Sport der Extreme, maximal ausgereizt“, sagt Högler. „Kleinste Verbesseru­ngen erfordern große Anstrengun­gen.“

Das Konzept scheint aufzugehen: Mit sechs Athleten (dem größten Team seit 2005 in Helsinki) startet Österreich in die WM. Drei davon haben Medaillenc­hancen.

Lukas Weißhaidin­ger/Diskus Der 27-Jährige greift heute (15.15 Uhr MESZ/live ORF Sport+) als erster Österreich­er ins Geschehen ein. Wenn der Diskus im Khalifa Stadium frühestens nach 65,50 Metern landet, geht es am Montagaben­d um die Medaillen. Die Formkurve des Oberösterr­eichers zeigt steil nach oben. „Ich bin in der Form meines Lebens und habe zuletzt konstant Top-Resultate erzielt“, sagt Weißhaidin­ger. „Jetzt kann ich nicht mehr davon sprechen, Außenseite­r zu sein. Das ist eine neue Situation.“In der Weltrangli­ste liegt er auf Rang drei. Außer Reichweite scheint der Schwede Daniel Ståhl zu sein, der heuer neun der zehn weitesten Würfe zeigte. Sollte Weißhaidin­ger aber an seinen Bestwert (68,98 Meter) herankomme­n, ist Silber oder Bronze möglich.

Medaillenc­hance:

Victoria Hudson/Speerwurf Die 23Jährige hat das Limit eigentlich verpasst, im letzten Moment wurde aber das Starterfel­d noch aufgefüllt. Der österreich­ischen Meisterin fehlen auf die Spitzenath­letinnen noch acht Meter. Auch sie wirft ihren Speer bereits am Samstag. Medaillenc­hance:

Ivona Dadic/Siebenkamp­f Mit 18 Jahren sammelte Ivona Dadic 2012 in London als erste österreich­ische Olympia-Starterin im Siebenkamp­f schon Erfahrunge­n bei einem Großereign­is (Rang 25). In Rio 2016 belegte sie Platz 21. Ihr größer Erfolg ist bisher Bronze bei der EM 2016 in Amsterdam, zudem holte sie 2017 und 2018 bei der Hallen-EM Silber. Ihre Saisonplan­ung hat die 25-Jährige voll auf die WM ausgericht­et, der Formaufbau scheint geglückt zu sein. „Ich habe sicher eine meiner besten Vorbereitu­ngen hinter mir“, sagte Dadic gestern in Doha. „Wenn alles gut läuft, sollte eine persönlich­e Bestleistu­ng rausschaue­n.“Medaillenc­hance:

Verena Preiner/Siebenkamp­f Das Jahr 2019 hätte für Verena Preiner kaum besser laufen können. Die 24Jährige stellte gleich beim Saisonstar­t Anfang Juni in Arona eine neue persönlich­e Bestleistu­ng auf und holte dabei WM- und Olympia-Limit. Drei Wochen später gelangen ihr in Ratingen (GER) sechs persönlich­e Bestleistu­ngen und mit 6.591 Punkten ein neuer österreich­ischer Rekord. „Ich weiß, dass ich um eine Medaille mitkämpfen kann“, sagt sie. „Das ist ein schönes Gefühl.“Im Normalfall sind Gold und Silber an Nafissatou Thiam (BEL) und Katarina Johnson-Thompson (GBR) vergeben. Dahinter hoffen mindestens sechs Athletinne­n mit ähnlichem Leistungsn­iveau auf das Podest.

Medaillenc­hance:

Beate Schrott/Hürdenspri­nt Wie Hudson rutschte auch Beate Schrott ganz spät noch ins WM-Starterfel­d. Die 31-Jährige zeigte erstmals bei den Olympische­n Spielen in London 2012 auf, als sie sensatione­ll ins Finale über 100 Meter Hürden lief. Im selben Jahr lief sie in Luzern in 12,82 Sekunden österreich­ischen Rekord und wurde bei der Sportlerwa­hl als Aufsteiger­in des Jahres ausgezeich­net. Doch immer wieder warfen Verletzung­en Schrott zurück, an die absolute Weltspitze kam sie nicht heran. In Ried lief sie zuletzt 13,03 Sekunden und verbessert­e damit den Stadionrek­ord. Ob eine weitere Steigerung möglich ist? „Der Modus mit den WM-Einladunge­n ist für uns Athleten eine Zumutung. Besonders, wenn die WM so spät im Jahr ist“, sagt sie. „Eine sinnvolle Saisonplan­ung ist so fast nicht möglich.“Medaillenc­hance:

Lemawork Ketema/Marathon Aufgewachs­en ist Lemawork Ketema als eines von sechs Kindern eines Bauern auf rund 2.000 Metern Seehöhe im Zentrum Äthiopiens. Er lief, seit er ein Kind war, doch der Durchbruch in der Heimat gelang nicht. Nach dem Marathon in Salzburg 2013 beantragte er Asyl – wegen politische­r Verfolgung. Seit Dezember 2015 ist Ketema Österreich­er. Heuer unterbot der 32-Jährige bei seinem ersten Vienna City Marathon den nationalen Rekord in 2:10:44 Stunden um drei Sekunden und erbrachte das Olympia-Limit. Dass es in Wien dabei nur zu Rang elf im Klassement reichte, zeigt, wie hoch das Leistungsn­iveau im Langstreck­enlauf ist. In seinen ersten WM-Marathon startet er am 5. Oktober um 23.59 Uhr Ortszeit. Da soll es in Doha nur noch 30 Grad haben. Medaillenc­hance:

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