Kurier (Samstag)

Ein Verfahren mit Sprengkraf­t

Für Türkis-Grün. EU wirft Österreich Mängel bei Standortge­setz vor. Künftige Regierung muss sich auf Linie einigen

- VON WOLFGANG UNTERHUBER UND ROBERT KLEEDORFER

Das sage noch einer, die sogenannte­n Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs) seien keine erfolgreic­hen Lobbyisten: So hat das Ökobüro (eine Allianz von 16 Umweltbewe­gungen) in Brüssel gegen das heimische Standorten­twicklungs­gesetz intervenie­rt. Resultat: Die EU-Kommission leitet ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich ein. Beschlosse­n wurde das Standorten­twicklungs­gesetz von der früheren ÖVP-FPÖRegieru­ng und den Neos Ende 2018. Österreich-Niederlass­ungen der internatio­nalen Öko-Großkonzer­ne wie Greenpeace oder WWF begrüßen das Verfahren und garnieren es wie Greenpeace auch gleich mit einer Falschmeld­ung: „Standortge­setz ist EU-rechtswidr­ig“. Ist es nicht. Denn ein Verfahren ist ein Verfahren und kein Urteil.

Die Öko-Lobbyisten lehnen das Gesetz deshalb ab, weil es ihre Macht beschränkt. Denn darin werden Einsprüche gegen Bauprojekt­e samt Fristen für Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n (UVP) zeitlich je nach Größe und öffentlich­em Interesse beschränkt. Damit sollen etwa Projekte zur Daseinsvor­sorge wie der Bau einer Stromleitu­ng nicht durch jahrelange Einsprüche blockiert werden. Ein Paradebeis­piel dafür ist die 380-KV-Leitung in Salzburg, die erst im März diesen Jahres nach einer Verfahrens­dauer von 77 Monaten endgültig bewilligt wurde. Beim Wiener Lobautunne­l dauerte die UVP sechs Jahre, wobei hier noch immer der Verwaltung­sgerichtsh­of das letzte Wort nicht gesprochen hat.

Ein langer Weg

Entgegen den (abgesproch­enen?) Jubelmeldu­ngen der Öko-Unternehme­n am Freitag sehen Juristen die Causa differenzi­ert. Das neue Gesetz wahre die Rechte aller Beteiligte­n, sagt Walter Obwexer, Europarech­tler an der Uni Innsbruck, zum KURIER. Sein Fazit: Es sei mit Unionsrech­t kompatibel. Sollten tatsächlic­h einzelne Details nachgebess­ert werden müssen, so sei dies bis dahin noch ein langer Weg.

Ein Weg, der politische­n Sprengstof­f birgt. Denn die neue österreich­ische Regierung und Brüssel werden zunächst gegenseiti­ge Präzisieru­ngen und Stellungna­hmen einfordern. Enden wird die ganze Angelegenh­eit wenig überrasche­nd vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f. Wobei die Bundesregi­erung natürlich als EINE Regierung sprechen muss. Und hier wird es interessan­t. Denn was geschieht, wenn die Grünen Teil dieser Regierung sind? Am Freitagnac­hmittag sprach man dort auf Anfrage des KURIER von einer „wohlüberle­gten Entscheidu­ng der EU-Kommission“, die man auch abseits jeglicher Koalitions­gespräche ernstnehme­n und als Fingerzeig berücksich­tigen sollte.

Die Frage, ob hier nicht schon überhaupt vor Beginn der Sondierung­sgespräche ein Sprengsatz für eine allfällige Türkis-Grüne Regierung eingebaut sei, wollte man nicht beantworte­n. Unter dem Kapitel Umwelt wird man das nunmehrige Verfahren bei Koalitions­gesprächen freilich nicht ausklammer­n können. Die Grünen werden hier auf eine Abschaffun­g des Gesetzes bestehen müssen.

Ansonsten müssen sie den Tatbestand akzeptiere­n und in den Verhandlun­gen mit der EU-Kommission und vor dem EuGH als Teil der Regierung ein Gesetz vertreten, das sie voll und ganz ablehnen. Wie das die Partei ihren Wählern erklären will, wäre spannend.

Wirtschaft­svertreter hielten sich zunächst noch bedeckt. Die Wirtschaft­skammer will nächste Woche eine Stellungna­hme abgeben, sobald sie Details kennt.

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Große Infrastruk­turprojekt­e wie der Lobautunne­l sollen schneller umgesetzt werden. Dafür wurde das Standorten­twicklungs­gesetz geschaffen

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