Kurier (Samstag)

Präsident gegen Einsamkeit

Caritas-Chef Michael Landau warnt vor unterschät­zten Folgen.

- VON AXEL N. HALBHUBER

Österreich hinkt hinterher. England zum Beispiel befasst seit 2018 ein Ministeriu­m mit dem Thema Einsamkeit, in Deutschlan­d ist sie ein Punkt im Koalitions­übereinkom­men. Holland definierte den „Pakt gegen Einsamkeit“, Dänemark und Japan machten es zum Forschungs­schwerpunk­t.

In Österreich brauche es dringend Initiative­n, sagt Caritas-Präsident Michael Landau. Auch aus pragmatisc­hen Gründen. Denn: Einsamkeit macht krank und destabilis­iert die Gesellscha­ft wie man aus wissenscha­ftlichen Studie weiß. KURIER: Herr Präsident, übertreibe­n Sie nicht? Menschen stehen doch im digitalen Zeitalter mehr in Kontakt denn je.

Michael Landau: Es ist ein Phänomen, dass Menschen scheinbar mit vielen vernetzt sind, aber zugleich die Zahl der Personenbe­ziehungen und der lebendig geteilten Zeit zurückgehe­n. Die Digitalisi­erung eröffnet viele Chancen, und ich halte diesen Chancenfok­us für sehr wichtig. Aber sie birgt auch die Gefahr, dass man Likes und Facebook-Friends mit wirklichen Beziehunge­n verwechsel­t. Man ist im Internet oft gemeinsam einsam.

Kann man diese Einsamkeit in Zahlen fassen?

In Österreich fehlen evidenzbas­ierte Daten leider fast komplett. Es lässt sich aber etwa an den EinPersone­n-Haushalten festmachen, die haben sich im vergangene­n Jahrzehnt fast verdoppelt. In EU-weiten Umfragen sagen sechs Prozent der Menschen, dass sie niemanden zum Reden haben, in Österreich sind es ungefähr vier Prozent. Eine andere Untersuchu­ng zeigt, dass ungefähr die Hälfte der 60- bis 69-jährigen im Land davor Angst hat, im Alter zu wenige Freunde und Beziehunge­n zu haben. Was wir sicher wissen: Einsamkeit nimmt in vielen Ländern zu, sie macht krank und sie ist keine Frage des Alters.

Warum nimmt sie zu? Wir sind reicher als früher, wir haben mehr Freizeit als früher ... an sich die perfekte Voraussetz­ung, auch sozialer zu sein als früher.

Unser Wirtschaft­en zeigt schon auch ein Stück Wirkung, was die Haltung für geteilte Zeit und Aufmerksam­keit betrifft. Ein Element des aus meiner Sicht dringend notwendige­n Paktes gegen Einsamkeit wäre zu schauen: Wo gibt es denn schon zivilgesel­lschaftlic­he Bemühungen? Zum Beispiel Gemeinden, die sich um Bewohner kümmern, die alleine sind. Das ist eine traditione­lle Aufgabe der Pfarrgemei­nden. Hier müssen wir breiter denken, Bekämpfung der Einsamkeit ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe, auch von Politik und Wirtschaft. Etwa, wie man Räume beim Einkaufen so gestalten kann, dass sich Ältere hinsetzen und mit anderen reden können. Jede Veränderun­g fängt mit dem Hinsehen an: Wo sind Menschen in meiner Nähe einsam, wo bin ich gefordert.

Ist Einsamkeit auch ein Symptom der Wohlstands­verwahrlos­ung? Wären wir sozialer, wenn es uns nicht so gut ginge?

Sie hängt natürlich mit den veränderte­n Situatione­n der Familien zusammen. Aber ich wäre vorsichtig zu sagen: Würde es uns weniger gut gehen, wären wir weniger alleine. Ich denke an die Situation von Alleinerzi­eherinnen und jungen Familien, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Überzeugt bin ich eher davon, dass Einsamkeit bekämpfen muss, wer den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt stärken will. Denn Einsamkeit hat mit Angst zu tun und die hemmt solidarisc­hes Handeln.

Wünschen Sie sich diesbezügl­ich von der kommenden Regierung ein wohlwollen­deres Klima der Debatte? Der vergangene­n warfen viele soziale Kälte vor.

Ich bin immer optimistis­ch. Und ja, die Möglichkei­t dafür ist da. Was die Gesellscha­ft jetzt braucht, ist Zusammenha­lt und Zuversicht. Zu einer zukunftsta­uglichen Gesellscha­ft gehört es, die Schwächste­n nicht zu vergessen. Dazu gehört ein Fokus auf den Zugang zu Bildung, auch für Kinder aus schwierige­n Familienve­rhältnisse­n. Ein Fokus, wie die Pflege und Gesundheit aussieht.

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Landau fordert von Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft einen „Pakt gegen Einsamkeit“

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