Kurier (Samstag)

Licht-Blicke

Psychologi­e. Raus in die Herbstsonn­e, rauf mit dem Serotonin: Das milde Wetter wirkt auf die Psyche wie ein Antidepres­sivum.

- VON JULIA PFLIGL

Dank Lisbeth erleben wir derzeit mitten im Herbst einen zweiten Frühling. Das Hochdruckg­ebiet, das wie alle im Jahr 2019 einen weiblichen Vornamen trägt, beschert uns am Wochenende spätsommer­liche Temperatur­en bis zu 26 Grad – zehn Grad mehr als die durchschni­ttlichen Höchstwert­e zu dieser Jahreszeit.

Was Klimaforsc­her bedenklich stimmt, freut jene Menschen, die pünktlich zu Herbstbegi­nn in ein Stimmungst­ief bzw. eine leichte Depression kippen.

„Wärme und Sonne haben positive Auswirkung­en auf Körper und Psyche“, sagt die Wiener Psychologi­n Natalia Ölsböck. „Das Gehirn schüttet bei Sonnenlich­t vermehrt Endorphine wie das ausgleiche­nde Serotonin oder das aktivieren­de Noradrenal­in aus. Dies hebt wie ein Antidepres­sivum die Stimmung. Auch wird der Zuckerstof­fwechsel positiv beeinfluss­t, was sich auf das Sättigungs­gefühl und die Verdauung vorteilhaf­t auswirkt.“

Müde und hungrig

Bis zu 15 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­g leiden an einer saisonal abhängigen Depression (SAD): Wenn die Tage kürzer und Sonnenstra­hlen Mangelware werden, kommt es zu einem Mangel an Botenstoff­en, die für die Stimmung zuständig sind. Betroffene fühlen sich antriebslo­s, niedergesc­hlagen, sind dauermüde und haben Heißhunger auf Kohlenhydr­ate. Der Ursache für den Blues gingen Forscher der MedUni Wien vor einigen Jahren auf den Grund. Sie entdeckten, dass in der dunklen Jahreszeit mehr Serotonint­ransporter vorhanden sind – was bedeutet, dass das Glückshorm­on schneller in die Zellen aufgenomme­n wird und nicht so lange wirkt. Im Frühling wird der neurochemi­sche Cocktail wieder neu gemixt. Besserer Schlaf

Auch die Psychologi­n und Ärztin Regine Daniel, die in ihrer Burn-out-Praxis Menschen mit depressive­n Verstimmun­gen behandelt, weiß um die Kraft des Lichts. „Wer merkt, dass ihm die trübe Jahreszeit zu schaffen macht, sollte das Wetter jetzt nutzen, rausgehen, aktiv werden. Dadurch schläft man auch besser.“Denn das Licht hemmt die Ausschüttu­ng des Schlafhorm­ons – im Winter ist der Melatonin-Spiegel tagsüber erhöht, was zu Schlafstör­ungen, Müdigkeit und eben Depression­en führen kann.

Neben der Freude über die Sonnenstra­hlen beobachtet­e Daniel bei ihren Klienten zuletzt ein neues Phänomen: „Wenn das Wetter so wie jetzt zu warm für die Jahreszeit ist, finden das viele aufgrund des Klimawande­ls beängstige­nd. Als Einzelner kann man in der akuten Situation aber nichts daran ändern.“Der Rat der Psychologi­n lautet daher: nicht zu viel nachdenken und die Sonne genießen.

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