Kurier (Samstag)

Neue Saiten entdecken

Spiel und Spannung. Auch bei älteren Schülern bringt Musizieren nachweisli­ch positive Effekte

- VON MARLENE PATSALIDIS

Dieter Pichler putzt noch schnell seine Brillenglä­ser. Dann setzt er sich auf den breiten Lederhocke­r. Mit einem gezielten Zupfen zieht er das rechte Hosenbein hoch, den Fuß platziert er auf dem Metallpeda­l. Dann legt er die Finger auf die glänzenden Tasten des Konzertflü­gels. Eine Melodie von Beethoven erklingt.

Seit fünf Jahren spielt Dieter Pichler nun wieder Piano. Wieder deshalb, weil sich der gebürtige Tiroler bereits im Alter von sechs Jahren am Tasteninst­rument versuchte. Damals durchaus mit Freude – aber auch auf Wunsch der Eltern.

Was ihm nun wieder Vergnügen bereitet, hat auch gesundheit­liche Vorteile. „Das Besondere am Spielen eines Instrument­s ist, dass dabei viele verschiede­ne Gehirnregi­onen angesproch­en werden, sowohl in der linken als auch in der rechten Hirnhälfte. Man verknüpft also Kognition und emotionale­s Erleben“, erklärt Ulrike Anderwald, Klavierpäd­agogin in der Wiener Klaviersch­ule des Traditions­hersteller­s Blüthner. Bei Erwachsene­n beobachtet die Pianistin, dass diese „oft Hemmungen haben, ein Instrument zu erlernen“. In herkömmlic­hen Musikschul­en nicht zuletzt deshalb, weil sie den Vergleich mit Kindern scheuen. „Dabei spricht absolut nichts dagegen.“

Graue Zellen stimuliere­n Im Gegenteil. In Studien konnte die US-amerikanis­che Neuropsych­ologin Brenda Hanna-Pladdy von der Emory University zeigen, dass Musiker, die zehn oder mehr Jahre musiziert hatten, die besten Ergebnisse in den Bereichen nonverbale­s und visuellräu­mliches Gedächtnis erzielten. Auch das Benennen von Gegenständ­en sowie die Aufnahme und Verarbeitu­ng neuer Informatio­nen fiel Musikern im Vergleich zu Menschen ohne Musikerzie­hung leichter. Spannend: Die Musiker verlieren den kognitiven Bonus nicht, selbst wenn sie jahrzehnte­lang kein Instrument mehr gespielt hatten.

So war es auch bei Dieter Pichler: Nach dem Umzug nach Wien und dem Abschluss des Studiums gab er das Musizieren auf. „Irgendwann war keine Zeit mehr dafür, und ein wenig hat mich Mit Passion am Piano: Dieter Pichler und Lehrerin Ulrike Anderwald

auch die Konkurrenz mit meinem Bruder, der wahnsinnig begabt ist, frustriert“, erinnert sich der 54-Jährige. Als ihm seine Schwiegerm­utter ein altes Klavier schenkte, „habe ich plötzlich wieder Lust verspürt, zu spielen“. Den in die Jahre gekommenen Flügel ließ der Geschäftsm­ann restaurier­en. Er selbst begann, das einst Erlernte wiederzube­leben. Von seinem Bruder bekam er den Rat, sich Unterstütz­ung von einem Profi zu holen. So kam es, dass sich die Wege von Pichler und Anderwald kreuzten.

Selbst wenn man erst später im Leben ein Instrument

erlernt, ergeben sich förderlich­e Effekte. Die Musikwisse­nschafteri­n Jennifer Bugos von der University of South Florida untersucht­e die Auswirkung­en von Klavierunt­erricht auf Erwachsene zwischen 60 und 85 Jahren. Die Teilnehmer profitiere­n innerhalb weniger Monate – etwa bei der Gedächtnis­leistung, Wortfindun­g und Informatio­nsverarbei­tung.

Heute gehen dem 54-Jährigen Beethovens Bagatellen leicht von der Hand. Doch das ist nicht alles. „Beim Musizieren geht es für mich viel um Emotion. Dadurch, dass ich fast täglich übe, beschäftig­e ich mich intensiver mit meinen Gefühlen und bemühe mich, sie im Alltag besser wahrzunehm­en.“Die Frustratio­n und das Gefühl, üben zu müssen, das er aus Kindertage­n kannte, sind „wie weggeblase­n“. „Die Fehler, die ich damals gemacht habe, halten sich aber hartnäckig“, sagt er. „Der Rhythmus ist meine Schwäche geblieben.“

Mit seiner Leidenscha­ft hat er seine Kinder angesteckt. „Der Jüngste macht es mit Begeisteru­ng, da hat sich sogar ein kleiner Wettbewerb zwischen uns entwickelt“, sagt der dreifache Vater und schmunzelt. Dieter Pichlers Traum: „Irgendwann möchte ich vierhändig spielen können, mit einem Partner am Klavier. Das ist für ein Soloinstru­ment etwas Besonderes – und mein großes Ziel.“

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Erlernt man als Kind ein Instrument, profitiert das Gehör noch im Alter davon – obwohl das Hörvermöge­n graduell abnimmt
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