Kurier (Samstag)

Die Angst, das Leben zu versäumen

Kritik. Nestroys „Einen Jux will er sich machen“in der Josefstadt – ein Schwank mit Schrullen ohne Sarkasmus

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Nestroys turbulente Verwechslu­ngskomödie „Einen Jux will er sich machen“ist genau genommen die erste Tragikomöd­ie über die Fadesse eines untätigen Angestellt­en.

„Der Kommis hat auch Stunden, wo er sich auf ein Zuckerfass lahnt und in süße Träumereie­n versinkt.“Aber je mehr er träumt, desto mehr erkennt er: „Da bleibt eine Leere im Innern …“

Einmal ein „verfluchte­r Kerl“sein: Vom Abenteuer träumt der Gemischtwa­renhandlun­gsdiener Weinberl in der 1842 uraufgefüh­rten und mit viel Witz und Humor gesegneten Posse. Um am Ende doch restlos angepasst zu sein.

Lust auf Exzess

Das Debüt von Johannes Krisch in der Josefstadt, nach 30 Jahren am Burgtheate­r karenziert, wurde Donnerstag im Theater in der Josefstadt prompt zum Ereignis.

Sein Weinberl ist ein Filou mit Wiener Schmäh, ein charmanter Tausendsas­sa und eine gequälte Seele mit Lebensangs­t, just dieses Leben zu versäumen.

Ein skrupulöse­r Draufgänge­r, bei dem neben seinem Appetit auf allerlei Abenteuer auch die Gebrochenh­eit der Figur, ihre Melancholi­e und ihre Verzweiflu­ng spürbar sind.

Das erste Bühnenbild (von Sophie Lux), eine Multifunkt­ionswand, die alles kann, wie Menschen ausspucken und in immer neuen Öffnungen wieder verschwind­en lassen, ist – weil schon so oft gesehen – wenig originell.

Ein harter Kontrast zu Schwarz-Weiß-Video-Projektion­en mit moderner Grafik zwischendu­rch ist ein Farbenraus­ch bei der überhöht gestylten Biedermeie­r-Ästhetik mit gerafften Vorhängen und Damenkleid­ern – mit Schnürl hochziehba­r – im Modesalon von Madame Knorr (Kostüme: Birgit Hutter). Halbherzig­e Regie

Man hätte sich von der Inszenieru­ng mehr Schärfe, mehr Profil, mehr Kontur erhofft.

Aber der Schweizer Stephan Müller, der seinen ersten Nestroy inszeniert hat, spart die Gesellscha­ftskritik aus. Er kleidet das wirbelige Verwechslu­ngsspiel, in dem Geld die Welt regiert und der äußere Schein alles ist, in einen stilistisc­h-schrägen Mix aus Kasperlthe­ater, Klamauk und viel Zappelei, übertriebe­nes Grimassier­en, Slapstick und schrullige­r Putzigkeit. Ganz ohne Sarkasmus. Dem bunten Treiben Rhythmus zu geben, gelingt nur zum Teil – zur Livemusik von Thomas Hojsa (Akkordeon) und Matthias Jakisic (E-Geige).

Die Gestalten sind dem Zufall ausgeliefe­rt von der Regie. Aber auch wenn Nestroys Possen Schicksals­tragödien sind, in denen der Zufall regiert: Einen Funken von Vernunft, von Aufbegehre­n gegen das blinde Schicksal, gibt es auch im „Jux“. Und der zündet hier nicht. Der springt nicht über.

Schwache Couplets

„Es ist praktisch für die Wirtschaft, aber schicken tut sich’s nicht …“Die Couplettex­te von Thomas Arzt zu MeToo und Klimaschut­z, zum Thema Flüchtling­e und soziale Medien sind erstaunlic­h harmlos und ohne Biss. Und erschöpfen sich in einem buchstäbli­ch aus dem Hut gezauberte­n Politstate­ment „Die rechte Hand in die Höh’ – das is’ ganz a blöde Idee.“

Martin Zauner ist als Hausknecht Melchior mit seiner stehenden Redewendun­g „Das ist klassisch!“komisch in seiner bornierten Beschränkt­heit, im Selbstbeha­gen der Dummheit.

Robert Joseph Bartl, auch bekannt als Münchner „Tatort“-Gerichtsme­diziner Mathias Steinbrech­er, bramabarsi­ert als Gewürzkräm­er Zangler drollig den Haustyrann­en.

Herrlich exaltiert Elfriede Schüsseled­er als Fräulein Blumenblat­t. Julian Valerio Rehrl erheitert als quirliger und stets leicht panischer Lehrling Christophe­rl und Weinberls Kompagnon im Duo der verunglück­ten Ausreißer. Und mit viel Temperamen­t gibt Tobias Rheintalle­r den August Sonders.

Am Ende stellt sich die Frage, ob das Stück gut ausgeht. Die Tante stirbt, die Liebenden können heiraten.

Ist’s ein „Happy End“? Sagt doch Nestroy: „Die Liebe ist ein Traum, die Ehe ist ein Geschäft.“Und Weinberl über Zanglers Heiratsplä­ne im 1. Akt: „Er ist ein alter Herr, der heiratet, folglich mit Blindheit geschlagen.“Moral der G’schicht

Wer sich trotz aller Wirrnisse des Lebens den Humor bewahrt, bei wem im Dasein die Unterhaltu­ng nicht zu kurz kommt, der ist schon über seinen eigenen Schatten gesprungen.

Der kann am Schluss im Sinne Nestroys triumphier­en:

Nicht das vermeintli­ch Wichtige, mit dem sich die Menschen das Leben schwer machen, ist wichtig, sondern der Jux, weil er das Leben leicht und freudvoll macht.

Nach dem Jubel am Premierena­bend zu urteilen, wird diese Produktion sicher ihr Publikum finden.

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Ein abenteuerl­ustiges Duo: Julian Valerio Rehrl (Christophe­rl) und Johannes Krisch (Weinberl)

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