Kurier (Samstag)

Leiden eines Sängerknab­en

- PETER PISA

Neues Buch. „Mein Fall dokumentie­rt mehr als den Missbrauch“, sagt Autor Josef Haslinger über seine Zeit in Stift Zwettl.

Bücher

Josef Haslinger

Die Mönche sind tot – „Mein Fall“dokumentie­rt mehr als den Missbrauch.

Es scheint ähnlich zu sein wie beim Tsunami, den Josef Haslinger 2004 mit Familie in Thailand überlebt hat: Er schrieb darüber „Phi Phi Island“und legte damit das Trauma bei den Dokumenten ab.

Dass Josef Haslinger in der Sängerknab­enschule des Zisterzien­serstifts Zwettl von mehreren Mönchen missbrauch­t wurde, als er zehn, elf Jahre alt war, das war bekannt. Er hatte sich zum Thema geäußert.

Spielzeug

Die Namen nennt er erst jetzt, 50 Jahre danach. Die Patres sind tot, um ihren guten Ruf war Haslinger tatsächlic­h immer besorgt gewesen.

Er hat viel Zeit benötigt, um zu begreifen: Man kann nicht Frieden mit dem Geschehene­n schließen, ohne auf die Schuldigen zu zeigen. Das darf man nicht.

Verharmlos­en spielt den Tätern in die Hände.

Haslinger war Spielzeug von Pädophilen. Die Erkenntnis führte zu „Mein Fall“. Das ist ein Buch, das schwierig zu besprechen ist, weil man nach dem Lesen schweigen mag. Lang. Es ist ja nicht nur, dass Haslinger recht deutlich vom Missbrauch berichtet.

Man ist auch mitten in seinem Kopf, seinem – mit Verlaub – verwirrten Kopf: Die Mönche verdammten Homosexual­ität ... und dann „so was“?

Verwirrt auch, weil: Das Kloster scheint in den 1960ern, 1970ern extrem gewesen zu sein: Als „Oase der Zärtlichke­it“hat es Haslinger empfunden (und dafür Kritik eingesteck­t) – und der Kontrast: ein brutales Schulsyste­m mit Ohrfeigen.

Und dann ist da etwas, das den Bericht des mittlerwei­le 64-jährigen Niederöste­rreichers noch breiter macht:

Als er seinen Fehler des Verharmlos­ens und Schönreden­s einsah, wollte er seinen Fall dokumentie­rt haben. Von der Opferschut­zkommissio­n suchte er sich ein Mitglied aus – Brigitte Bierlein. Monate später wurde sie Bundeskanz­lerin.

Bierlein ließ Kaffee auftischen, Haslinger erzählte das Erlebte, ist ja nicht so angenehm, sie machte sich keine Notizen: Es war nämlich erst das VORgespräc­h.

Nun wurde er an die Kommission­sleiterin Waltraud Klasnic weitergere­icht. Haslinger erzählte das Erlebte, ’s wird immer unangenehm­er, sie machte sich keine Notizen: Es war schon wieder bloß ein VORgespräc­h.

Ein Universitä­tsprofesso­r vertrat die Diözese und war für das ERSTgesprä­ch zuständig, doch war er sehr im Stress und gab weiter ...

Besser ein Buch darüber schreiben.

Besser dieses Buch. Am besten dieses Buch.

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Man kann nicht Frieden schließen, ohne auf die Täter zu zeigen: Josef Haslinger
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KURIER-Wertung: āāāāά Josef Haslinger: „Mein Fall“S. Fischer Verlag. 144 Seiten. 20,60 Euro.
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