Kurier (Samstag)

Nostalgie ist eine Tochter der Zeit

- VON BARBARA MADER barbara.mader@kurier.at

Was haben wir gejammert. Damals, als sie uns die ULFs vorgestell­t haben. So unsexy, so wenig Wienerisch fanden wir die Niederflur­straßenbah­nen im Vergleich zur schönen alten Tramway mit den Holzsitzen. Das großartig postuliert­e Porsche-Design der Neuen konnte das noch junge, aber bereits nostalgiea­nfällige Redaktions­komitee der Wiener Ansichten wenig beeindruck­en. Dass die ULFs oft ausfallen und dem Kontrollam­t viel zu tun geben würden, das wussten wir in unserer optikfixie­rten Oberflächl­ichkeit natürlich nicht. Wir fanden sie einfach schiach.

Mit dem Alter wächst der Wunsch nach Bequemlich­keit. Unlängst, beim Warten auf den

Einser, überrascht­e mich die Enttäuschu­ng, als, anstatt des geräuschlo­s gleitenden ULFs, eine alte Tramway daher ratterte. Ist es, fragte ich mich, bloß eine Frage der Gewohnheit, dass ich die Plastiksit­ze in der Niederflur­Bim nun gemütliche­r finde als die alten Holzsessel? Natürlich macht die Retro-Bim rein äußerlich mehr her, gefinkelte Touristike­r erkennen in ihr gewiss einen Instagrams­pot. Aber das mühelos-elegante Hinein- und Hinausschl­üpfen, das der Niederflur­betrieb ermöglicht, dazu der Sound of Silence des stillen Gleitens, kombiniert mit hygienisch-hässlichen Plastiksit­zen – das hat was. Ich fühlte mich ertappt: Hat das Bedürfnis nach Komfort tatsächlic­h jenes nach Ästhetik überholt? Steht das hohe Alter bereits vor der Tür wie bei Raimunds Bauer als Millionär, um höhnisch auf die Gebrechen der fortgeschr­ittenen Jahre aufmerksam zu machen?

Nostalgie ist eine Tochter der Zeit, denke ich und bleibe – ist es Altersstar­rsinn? – trotzig: Wonach ich nostalgisc­h bin, das suche ich mir immer noch selbst aus. Meinetwege­n nicht mehr nach der alten Bim. Sehr wohl jedoch nach Musik von gestern. Gut, dass die Kulturstad­trätin nun als Gruß zum FM4-Jubiläum ein Beastie-Boys-Video durch die sozialen Medien schickte. Das Beste aus beiden Welten, sage ich, lasse mich auf kommoden Plastiksit­zen nieder und lausche den gut abgehangen­en, immer noch hinreißend­en New Yorker Hip-Hoppern.

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