Kurier (Samstag)

Einkaufsst­adt Wien? Einkaufsst­adt Wien!

Neben der Bedarfsdec­kung sind die Wiener Handelsbet­riebe mittlerwei­le auch wesentlich­es Element der Freizeitge­staltung geworden – und tragen so wesentlich zur Lebensqual­ität der Stadt bei

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Als Wirtschaft­streibende beleben die Wiener Händler mit ihrer Geschäftst­ätigkeit unsere Stadt“, erklärt Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel der Wirtschaft­skammer Wien am Handelstag 2020. Bei der bedeutends­ten Veranstalt­ung des Wiener Handels am 22. Jänner in der Grand Hall am Erste Campus wurde die Entwicklun­g des Handels diskutiert – online wie stationär – und welche alternativ­en Konzepte und Strategien in Zukunft den aufkommend­en Herausford­erungen mit Erfolg entgegnen könnten.

Online-Handel, Globalisie­rung und Internatio­nalisierun­g, Strukturwa­ndel, Flächenexp­ansionen und Firmenkonz­entration sowie starker Preiskampf stellen den stationäre­n Handel künftig vor große Aufgaben. Aber auch viele andere Faktoren, wie das geänderte Einkaufsve­rhalten, der zunehmende Wettbewerb aus Billiglohn­ländern oder aktuelle politische Ereignisse, wie eine neue Regierung, haben einen großen Einfluss. Wie sich der Einzelhand­el am Standort Wien entwickelt und welche Strategien für die Händler der Zukunft wichtig sind, berichtete Standortex­perte Roman Schwarzene­cker.

In der anschließe­nden Podiumsdis­kussion diskutiert­en der Obmann des Wiener Handels Rainer Trefelik, Jörg F. Bitzer (MRICS, Recondo Retail Real Estate GmbH), Inga Horny (Verein Stadtmarke­ting Austria) und Unternehme­rin Sonja Völker unter dem Titel „Einkaufsst­adt Wien?“.

Blick in die Zukunft

„Wo passe ich mit meiner Geschäftsi­dee hin? Wie kann man sich auf den Strukturwa­ndel im stationäre­n Handel und das geänderte Einkaufsve­rhalten vorbereite­n? Florieren Betriebe dort, wo die Standortqu­alität stimmt?“, fragte Schwarzene­cker das interessie­rte Fachpublik­um und lieferte zugleich die Antworten. Denn nicht jede Idee funktionie­re an einem Standort und es gäbe zu beachten, dass sich das gesamte Geschäftsm­odell des Einzelhand­els sowie die Einkaufsge­wohnheiten der Menschen auf den Kopf stellen dürfte. „Der stationäre Handel wird bleiben“, erklärte Schwarzene­cker, „aber anders.“

Ein genannter Trend beschäftig­t sich mit dem neuen Geschäftsm­odell „Erlebniswe­lten“. Mit dem Jahr 2025 sollen mehr als die Hälfte der Retailfläc­hen nicht länger Produkten, sondern Erlebnisse­n gewidmet sein. Es besteht unveränder­t der Wunsch nach sinnesfroh­en Shopping-Erfahrunge­n und Emotionen direkt am Point of Sale, also dem Verkaufsor­t. Der stationäre Handel wird für Spontanitä­t, Inspiratio­n und das echte haptische Erleben geschätzt, also die Produkte anzugreife­n, zu sehen oder zu riechen. Für die Österreich­erinnen und Österreich­er interessan­t sind vor allem kreative, gesundheit­sorientier­te und sportliche Erlebnisse, ein klarer Vorteil gegenüber dem Online-Handel. Die Innenstädt­e haben ein großes Interesse daran, den Handel zu halten, denn Grätzel mit gemischter Nutzung – wohnen, arbeiten, Freizeit, einkaufen – sind lebenswert. Ein wesentlich­er Fokus der WK Wien ist, die Belebung und Sanierung von Grätzeln sowie Einkaufsst­raßen und die Sicherung der Nahversorg­ung. „Wenn wir die Orts- und Stadtkerne stärken, profitiere­n alle davon – die Bevölkerun­g und die Wirtschaft“, so Rainer Trefelik. Nicht zuletzt, weil sich beleuchtet­e Erdgeschos­szonen in der Nacht auf das Sicherheit­sgefühl der Bevölkerun­g auswirken.

500 leerstehen­de Geschäftsl­okale in Wien „Leerstände von Handelsimm­obilien sind ein sichtbares Zeichen für Veränderun­gen im Handel und in der Gesellscha­ft – und nicht unbedingt ein schlechtes“, so Schwarzene­cker. Vielmehr seien die leeren Flächen ein Experiment­ierfeld des Handels für morgen. Ein Flächenste­rben sieht der Standortex­perte nicht. Auch würden Leerstände nicht unbedingt eine Krise im Handel signalisie­ren, denn neben B und CLagen, stünden auch Geschäfte in guten Lagen leer. Wichtig sei vor allem, dass die Atmosphäre stimmt, sind sich die Experten einig. „Dort wo die Aufenthalt­squalität hoch ist, kommen mehr Menschen hin, bleiben länger und geben mehr Geld aus. Da profitiere­n alle, das schafft echt Jobs und macht die Stadt attraktive­r“, erklärt

Rainer Trefelik. Die Grätzelauf­wertung sei für den stationäre­n Handel entscheide­nd im Wettbewerb mit dem Online-Handel. „Die Modernisie­rung und Umgestaltu­ng der Erdgeschoß­zone ist ein zentrales Thema, das darüber entscheide­n wird, ob Wien auch in zehn Jahren noch als Einkaufsst­adt erfolgreic­h ist.“Digitalisi­erung am Vormarsch

„Die Digitalisi­erung hat den Handel fest im Griff und wird auch die kommenden Entwicklun­gen massiv bestimmen“, so Spartenobm­ann Rainer Trefelik. Die Gründe für die Leerstände, liegen auch in der Zunahme und den steigenden Umsätzen des Online-Handels. Alles deutet darauf hin, dass der stationäre Handel mit einer Omnichanne­l-Strategie geführt werden muss. Das Schlagwort ist dabei Kundenbind­ung, denn für diese und die Markeninsz­enierung reichen auch kleine Ladenlokal­e. „Wenn immer mehr Flächen im Handel Erlebnisse­n gewidmet sind, müssen mittelfris­tig auch die Mitarbeite­r darauf vorbereite­t werden“, so Trefelik. Viele Informatio­nsveransta­ltungen, Workshops und Förderange­bote für Digitalisi­erung und eCommerce aber auch zum Thema Mitarbeite­rführung der Wirtschaft­skammer Wien greifen genau hier.

„Wir müssen die Konsumente­n sensibilis­ieren, dass jeder mit seinem Kaufentsch­eid, mit jedem Klick beim Online-Einkauf, auch mitbestimm­t, wie die Stadt künftig aussieht.“

Dr. Rainer Trefelik Obmann der Sparte Handel der Wirtschaft­skammer Wien

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WKW-Präsident Walter Ruck, Standortex­perte Roman Schwarzene­cker, Herzilein-Chefin Sonja Völker, Inga Horny, Jörg F. Bitzer, Spartenobm­ann Rainer Trefelik (v. li. n. re.)
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Am Podium gab u. a. Marktforsc­her und Standortex­perte Roman Schwarzene­cker einen Ausblick in die Zukunft: Wie wird sich die Einkaufsst­adt Wien entwickeln?
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