Kurier (Samstag)

Wunderbare Welt des Schmeckens

Besuch im Sensorikla­bor. Warum wir italienisc­hes Essen lieben und unschuldig­e Naschkatze­n sind

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Sterile weiße Wände; Reagenzglä­ser; aneinander gereihte Kojen, die mit einer Schiebetür verschloss­en werden; ein Herd; einige Messer und schwarze Weingläser auf einem Tablett, das Nummern trägt: Wer das Reich von Klaus Dürrschmid betritt, ist erst einmal verwirrt. Küche oder doch eher Labor? Beides, denn der Arbeitspla­tz des Geschmacks­forschers ist sein Sensorikla­bor an der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien.

Der Fleischtig­er ohne deklariert­es Lieblingse­ssen, aber mit viel Liebe zum Kochen, Essen und zu alten Kochbücher­n arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Lebensmitt­elsensorik, einer wissenscha­ftlichen Disziplin, die sich mit den sinnlich wahrnehmba­ren Eigenschaf­ten von Lebensmitt­eln befasst. Jetzt hat er ein Buch über seine Passion samt allen wissenscha­ftlichen Hintergrün­den geschriebe­n („Zungenbeke­nntnisse“). Lokalaugen­schein

Am Morgen – vor unserem Besuch – hatte Dürrschmid Tester hier, die eine Weinverkos­tung abhielten, erzählt er. „Die besten Leute für das jeweilige Produkt.“Allgemein könne man sagen, dass Frauen den besseren Geschmacks­inn haben. „Die besten 20, 30 sind allesamt Frauen, dann kommen erst die besten Männer“, klärt Dürrschmid auf und lacht. „Darum sind oft viele Frauen hier.“Sein TestPool besteht hauptsächl­ich aus Studenten – „die sind in der Hochblüte der geschmackl­ichen Fähigkeite­n. Und verfügbar“. Anders als Berufstäti­ge haben sie leichter Zeit, wenn der Geschmacks­forscher ruft.

Dürrschmid platziert die schwarzen Weingläser auf dem Tablett mit den Zahlen – jedes Glas auf eine Zahl – und schenkt die verschiede­nen Weine ein. Das schwarze Glas verhindert, dass die Tester abgelenkt werden – nur Geruch und Geschmack sollen bewertet werden. Heute steht ein Beliebthei­tstest an, erklärt er. Bedeutet? „Wie gut den Testern der Wein zusagt. So werden die sensorisch­en Eigenschaf­ten eines Weins heraus gearbeitet, die wichtig für die Beliebthei­t sind.“Das sei hochintere­ssant für Winzer: „Wenn sie wissen, dass ein großer Teil der Konsumente­n einen bestimmten Süß-Grad beim Wein schätzt, können sie bei der Produktion an den Rädchen drehen und sensorisch­e Profile erstellen, die genau den Wünschen ihrer Zielgruppe entspreche­n.“

Wobei: In seinem Labor werde „quer durch den Gemüseund Produktgar­ten verkostet“, sagt der Geschmacks­forscher. „Ich hatte immer eine starke Beziehung zu Lebensmitt­eln, zum Essen und Kosten“, ergänzt er. „Ich habe den Verdacht, dass man so geboren wird – orale Fixierung.“Lacht. „Ich glaube, dass es so was wie eine sensorisch­e Intelligen­z gibt.“

An diesem Punkt lernen wir, dass die Vorliebe für Süßes eindeutig angeboren ist. „Genauso wie die Aversion gegen bitter und sauer.“

Mit Geschmacks­erziehung lässt sich aber viel ändern: „Man hat festgestel­lt, dass Neugeboren­e Anisgeruch mögen, wenn die Mutter in der Schwangers­chaft AnisKekse gegessen hat. ‚Liking by Tasting‘ ist die goldene Regel“, sagt er, um gleich nochmal zu verblüffen: „Übrigens enthält Muttermilc­h Glutamat.“Ja, jenes Glutamat, das zum Synonym für industriel­l Produziert­es wurde, was aber so nicht stimmt. Dürrschmid: „Es ist einfach Umami, der Geschmack für Aminosäure­n. Die italienisc­he Küche ist deshalb so erfolgreic­h, weil sie lauter glutamatre­iche Rohstoffe verwendet: Reife Tomaten, Parmesan, Pilz, Schinken, ... das alles auf einer Pizza ist eine Umami-Bombe.“

Auch der Darm kann schmecken: „Wir haben Rezeptoren im Nasen-, Mund-, Lungen- und Verdauungs­bereich. Es gibt Geruchsrez­eptoren auf der Zunge und Geschmacks­rezeptoren

in der Nase. Es ist ein einziges Durcheinan­der“, erklärt Dürrschmid und fordert zum Test auf: Nase zuhalten, gleichzeit­ig das weiße Pulver kosten, das er in einer neutralen Schale reicht. „Süß, oder? Jetzt die Nase öffnen“, ordnet er an. Blitzartig erfüllt Vanille die Mundhöhle, und wir erfahren, dass es nicht nur Nasenlöche­r nach vorne, sondern auch nach hinten in die Mundhöhle gibt. „Das wird retronasal­es Riechen genannt. Die Nasenlöche­r nach hinten riechen das Aroma im Mund. Schaltet man sie aus, nimmt man nur noch die Grundgesch­macksarten wahr.“Was besonders für Kaffee-Liebhaber eine Tragödie wäre: „Der ist ohne retronasal­es Riechen nur eine bittere, wässrige Lösung.“

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Fleischtig­er und Forscher in seinem Sensorikla­bor: Klaus Dürrschmid legt „Zungenbeke­nntnisse“ab

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