BSE, Vogelgrippe, Coronavirus: Warum wir in Panik geraten
Hysterie. Wie eine Mischung aus Angst, Lust und Hoffnung eine kaum erklärbare Panik auslöst
Noch schneller als das Coronavirus verbreitet sich derzeit die Angst davor. Die Bilder von Menschen mit Atemschutzmasken, Berichte über eine Millionenstadt unter Quarantäne und einen weltweiten Gesundheitsnotstand lassen die Furcht vor einer immer näherkommenden Bedrohung in die Höhe schnellen. Einer aktuellen Umfrage zufolge machen sich 43 Prozent der Österreicher Gedanken über eine mögliche Ansteckung, unter den Jungen sind es beinahe zwei Drittel. Und ein Viertel der Befragten gibt an, aufgrund des Coronavirus keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr zu nutzen.
Wie besorgt die Österreicher sind, zeigt auch ein KURIER-Rundruf bei Apotheken: Atemschutzmasken sind derzeit heiß begehrte Ware. „Wir haben im Moment sehr viele Anfragen wegen Gesichtsmasken“, sagt etwa eine Apothekerin aus Niederösterreich. Zwischenzeitig seien diese sogar nicht lieferbar gewesen. Manche würden sich bereits wegen eines Impfstoffes erkundigen. Verschwörungstheorien Befeuert werden die Ängste durch Falschmeldungen in den sozialen Medien. So kursieren Gerüchte, dass die Presse die wahre Gefahr verschweige, Microsoft-Gründer Bill Gates hinter dem Coronavirus stecke und dieses noch tödlicher sei als das Atemwegssyndrom SARS. Die Verschwörungstheorien sind dieser Tage wieder in Hochform.
Tatsache ist: In Österreich hat sich noch kein Verdachtsfall bestätigt. Das Coronavirus ist weniger infektiös als die Masern. Auch der renommierte Biochemiker und Erfinder des Grippe-Medikaments Tamiflu Norbert Bischofberger beruhigt. „Die Panik ist nicht gerechtfertigt.“Die Bedrohung durch die normale Grippe sei wesentlich höher. Immerhin starben in der vergangenen Grippesaison 1.400 Österreicher an Influenza – mehr als drei Mal so viele wie im Straßenverkehr. Doch: „Bei Grippe fühlt man sich besser, weil es einen Impfstoff und Behandlungsmöglichkeiten gibt.“
Warum also fürchten wir uns so leidenschaftlich gerne? Die Psychologie nennt es Angstlust. Sie ist mit dem englischen Begriff „Thrill“vergleichbar. „Zum Thrill gehören drei Dinge:
Angst, Lust und die Hoffnung, dass es gut ausgeht“, erklärt Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien. Es handle sich dabei um eine reale, aber kalkulierbare Gefahr. Wir fürchten uns zwar, wissen aber, dass uns nichts ganz Schlimmes passieren kann, weil die Bedrohung weit weg ist. Und das habe etwas Erregendes. „Aber in dem Moment, in dem ich in einem Flugzeug sitze, das gerade abstürzt, ist es vorbei mit der Faszination.“Der Komet kommt
Die Lust an der Angst hat besonders bei uns eine lange Tradition. Nicht umsonst wurde die Psychoanalyse in Wien erfunden. Der Erfinder des Konzepts Angstlust, Michael Balint, war ein Schüler Sigmund Freuds. Freud war noch gar nicht auf der Welt, da fürchtete man sich in Wien bereits mit Hingabe: 1832 wurden zwei Kometen angekündigt, was eine weltweite Kometenfurcht hervorrief. In Wien machte man gleich einen Schlager daraus: Das „Kometenlied“, ein berühmtes Wiener Couplet aus Nestroys Posse „Der böse Geist Lumpazivagabundus.“
Der Komet ist bisher noch nicht eingetroffen. Andere Weltuntergangsszenarien waren in der jüngeren Geschichte einmal mehr, einmal weniger berechtigt. Bei der SARS-Pandemie starben weltweit 700 Menschen, bei der Vogelgrippe 450. Grund genug zur Panik? Angekündigte Katastrophen treten nicht ein, heißt es. Einerseits, weil die Panik davor manchmal weit überzogen ist. Andererseits aber auch, weil wir etwas dagegen getan haben: Dass das Ozonloch, der Schrecken der 1980er Jahre, weiter am Schrumpfen ist, hat einen guten Grund: die Reduktion der FCKW-Gase, die in Sprühdosen und Kühlschränken enthalten waren. Und das Waldsterben, auch bekannt als saurer Regen, ein weiteres Schreckgespenst der frühen 1980er? Es ist zwar nicht vorbei, aber immerhin, der Wald ist noch nicht tot – weil man handelte. Auch bei Ebola entschied sich die WHO zu drastischen Maßnahmen und setzte nicht umfassend getestete Impfstoffe ein: Die Seuche wurde eingedämmt. Angst vor Terror
Und dann ist da die Angst vor Terror: Sie gibt uns das Gefühl, tatsächlich machtlos zu sein. Zwei Tage nach dem Terroranschlag im Pariser Musikclub Bataclan 2015 kam es rund um die Kathedrale Notre-Dame zu einer Massenpanik, als Unbekannte Schweizerkracher in die Menge warfen. Vor Angst, es könnte sich um eine neuerliche Schießerei handeln, stoben die Menschen in alle Richtungen, suchten Zuflucht in Hauseingängen. Damals tauchte ein neues Phänomen in den sozialen Medien auf: FacebookNachrichten mit dem Status „Es geht mir gut“für die Besorgten daheim. Ausnahmsweise zeigte sich das Internet als Mittel zur Deeskalation.
„Die Panik ist nicht gerechtfertigt. Die Bedrohung durch die normale Grippe ist wesentlich höher.“Norbert Bischofberger Tamiflu-Entwickler