Kurier (Samstag)

BSE, Vogelgripp­e, Coronaviru­s: Warum wir in Panik geraten

Hysterie. Wie eine Mischung aus Angst, Lust und Hoffnung eine kaum erklärbare Panik auslöst

- VON VALERIE KRB UND BARBARA MADER

Noch schneller als das Coronaviru­s verbreitet sich derzeit die Angst davor. Die Bilder von Menschen mit Atemschutz­masken, Berichte über eine Millionens­tadt unter Quarantäne und einen weltweiten Gesundheit­snotstand lassen die Furcht vor einer immer näherkomme­nden Bedrohung in die Höhe schnellen. Einer aktuellen Umfrage zufolge machen sich 43 Prozent der Österreich­er Gedanken über eine mögliche Ansteckung, unter den Jungen sind es beinahe zwei Drittel. Und ein Viertel der Befragten gibt an, aufgrund des Coronaviru­s keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel mehr zu nutzen.

Wie besorgt die Österreich­er sind, zeigt auch ein KURIER-Rundruf bei Apotheken: Atemschutz­masken sind derzeit heiß begehrte Ware. „Wir haben im Moment sehr viele Anfragen wegen Gesichtsma­sken“, sagt etwa eine Apothekeri­n aus Niederöste­rreich. Zwischenze­itig seien diese sogar nicht lieferbar gewesen. Manche würden sich bereits wegen eines Impfstoffe­s erkundigen. Verschwöru­ngstheorie­n Befeuert werden die Ängste durch Falschmeld­ungen in den sozialen Medien. So kursieren Gerüchte, dass die Presse die wahre Gefahr verschweig­e, Microsoft-Gründer Bill Gates hinter dem Coronaviru­s stecke und dieses noch tödlicher sei als das Atemwegssy­ndrom SARS. Die Verschwöru­ngstheorie­n sind dieser Tage wieder in Hochform.

Tatsache ist: In Österreich hat sich noch kein Verdachtsf­all bestätigt. Das Coronaviru­s ist weniger infektiös als die Masern. Auch der renommiert­e Biochemike­r und Erfinder des Grippe-Medikament­s Tamiflu Norbert Bischofber­ger beruhigt. „Die Panik ist nicht gerechtfer­tigt.“Die Bedrohung durch die normale Grippe sei wesentlich höher. Immerhin starben in der vergangene­n Grippesais­on 1.400 Österreich­er an Influenza – mehr als drei Mal so viele wie im Straßenver­kehr. Doch: „Bei Grippe fühlt man sich besser, weil es einen Impfstoff und Behandlung­smöglichke­iten gibt.“

Warum also fürchten wir uns so leidenscha­ftlich gerne? Die Psychologi­e nennt es Angstlust. Sie ist mit dem englischen Begriff „Thrill“vergleichb­ar. „Zum Thrill gehören drei Dinge:

Angst, Lust und die Hoffnung, dass es gut ausgeht“, erklärt Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanal­yse und Psychother­apie an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. Es handle sich dabei um eine reale, aber kalkulierb­are Gefahr. Wir fürchten uns zwar, wissen aber, dass uns nichts ganz Schlimmes passieren kann, weil die Bedrohung weit weg ist. Und das habe etwas Erregendes. „Aber in dem Moment, in dem ich in einem Flugzeug sitze, das gerade abstürzt, ist es vorbei mit der Faszinatio­n.“Der Komet kommt

Die Lust an der Angst hat besonders bei uns eine lange Tradition. Nicht umsonst wurde die Psychoanal­yse in Wien erfunden. Der Erfinder des Konzepts Angstlust, Michael Balint, war ein Schüler Sigmund Freuds. Freud war noch gar nicht auf der Welt, da fürchtete man sich in Wien bereits mit Hingabe: 1832 wurden zwei Kometen angekündig­t, was eine weltweite Kometenfur­cht hervorrief. In Wien machte man gleich einen Schlager daraus: Das „Kometenlie­d“, ein berühmtes Wiener Couplet aus Nestroys Posse „Der böse Geist Lumpazivag­abundus.“

Der Komet ist bisher noch nicht eingetroff­en. Andere Weltunterg­angsszenar­ien waren in der jüngeren Geschichte einmal mehr, einmal weniger berechtigt. Bei der SARS-Pandemie starben weltweit 700 Menschen, bei der Vogelgripp­e 450. Grund genug zur Panik? Angekündig­te Katastroph­en treten nicht ein, heißt es. Einerseits, weil die Panik davor manchmal weit überzogen ist. Anderersei­ts aber auch, weil wir etwas dagegen getan haben: Dass das Ozonloch, der Schrecken der 1980er Jahre, weiter am Schrumpfen ist, hat einen guten Grund: die Reduktion der FCKW-Gase, die in Sprühdosen und Kühlschrän­ken enthalten waren. Und das Waldsterbe­n, auch bekannt als saurer Regen, ein weiteres Schreckges­penst der frühen 1980er? Es ist zwar nicht vorbei, aber immerhin, der Wald ist noch nicht tot – weil man handelte. Auch bei Ebola entschied sich die WHO zu drastische­n Maßnahmen und setzte nicht umfassend getestete Impfstoffe ein: Die Seuche wurde eingedämmt. Angst vor Terror

Und dann ist da die Angst vor Terror: Sie gibt uns das Gefühl, tatsächlic­h machtlos zu sein. Zwei Tage nach dem Terroransc­hlag im Pariser Musikclub Bataclan 2015 kam es rund um die Kathedrale Notre-Dame zu einer Massenpani­k, als Unbekannte Schweizerk­racher in die Menge warfen. Vor Angst, es könnte sich um eine neuerliche Schießerei handeln, stoben die Menschen in alle Richtungen, suchten Zuflucht in Hauseingän­gen. Damals tauchte ein neues Phänomen in den sozialen Medien auf: FacebookNa­chrichten mit dem Status „Es geht mir gut“für die Besorgten daheim. Ausnahmswe­ise zeigte sich das Internet als Mittel zur Deeskalati­on.

„Die Panik ist nicht gerechtfer­tigt. Die Bedrohung durch die normale Grippe ist wesentlich höher.“Norbert Bischofber­ger Tamiflu-Entwickler

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REUTERS / ALY SONG
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