Kurier (Samstag)

Viele Chinesen haben Angst vor Hunger

Coronaviru­s. Das Riesenland steht zumindest bis 9. Februar still. Viele Chinesen misstrauen der Regierung

- VON SUSANNE BOBEK UND EVELYN PETERNEL

In Nanjing, einer Acht-Millionen-Stadt, die nur 300 Kilometer von Schanghai entfernt ist, war Zhu Zhen Zhen am Freitag im Supermarkt einkaufen. „Alles ganz normal, es fehlt nichts“, sagte er am Telefon. Eigentlich wollte Herr Zhu ja diese Woche nach Europa reisen, aber das darf er nicht. Wann er nach Wien kommt, weiß er nicht.

In manchen Teilen Chinas und sogar in Peking sind Supermärkt­e seit Tagen geschlosse­n, weil die Regale leer sind. Und so soll es bis zum 9. Februar bleiben. Das internatio­nale Logistikun­ternehmen Kühne + Nagel wird in seinen 14 wichtigste­n Niederlass­ungen in fünf chinesisch­en Provinzen und Millionens­tädten wie Schanghai

„frühestens am 10. Februar 2020 zum Normalbetr­ieb zurückkehr­en“. Die Behörden haben in mehreren Großstädte­n im Süden und Osten des Landes alle dort ansässigen Unternehme­n angewiesen, ihren Geschäftsb­etrieb nicht vor dem 9. Februar wieder aufzunehme­n. In Wuhan und der Provinz Hubei wird der Shutdown, also die Stilllegun­g des öffentlich­en Lebens, voraussich­tlich bis zum 17. Februar dauern.

An so lange Ferien zum chinesisch­en Neujahr kann sich kein Mensch erinnern.

In Peking rechnet man damit, dass der Höhepunkt der Ausbreitun­g der Krankheit Mitte Februar erreicht sein wird. Experten in Hongkong sind da nicht so optimistis­ch: Sie erwarten, dass dieser Zeitpunkt erst im Mai erreicht sein wird. Allerdings wird es schwierig, die zweitgrößt­e Wirtschaft­smacht der Welt so lange lahmzulege­n. Machtkampf

„Das Misstrauen der Chinesen in ihre Führung ist sehr sehr groß, viele haben das Gefühl, dass nicht alles gesagt ist“, sagt Susanne WeigelinSc­hwiedrzik, Chinaexper­tin im Institut für Ostasienwi­rtschaft an der Uni Wien. „Wenn sich der Bürgermeis­ter von Wuhan erlaubt, der Zentralreg­ierung in Peking zu widersprec­hen, dann heißt das, dass es erhebliche Verwerfung­en gibt.“Im Interview sagte Wuhans Bürgermeis­ter Zhou Xianwang, dass die Epidemie in seiner ZehnMillio­nen-Stadt schon viel früher ausgebroch­en sei, als behauptet. Doch die Regierung in Peking hätte ihm verboten, das öffentlich zu machen.

Für die Expertin in Wien sind das deutliche Zeichen für eine „schwere politische Krise“und einen erbitterte­n Machtkampf hinter den Kulissen. Und dass man zu diesen „wahnsinnig radikalen Maßnahmen gegriffen hat und ganze Städte abriegelt und die gesamte Wirtschaft herunterfä­hrt“, deute darauf hin, dass das Regime derzeit gar nichts im Griff habe.

Chinas Premiermin­ister Zhou Xianwang kam am Freitag mit einer hochrangig­en Delegation in die Stadt Wuhan, wo das Coronaviru­s erstmals entdeckt wurde. Der auf Lebenszeit gewählte Präsident Xi Jinping sagt, dass aber alle wichtigen Unterlagen über seinen Schreibtis­ch gehen.

Nach Wuhan wurden mittlerwei­le Militärärz­te aus allen Teilen des Landes geschickt. Sie unterstehe­n einer anderen Befehlsket­te als die zivilen Ärzte. „Das ist Chaos“, sagt Susanne WeigelinSc­hwiedrzik.

Falsche Heilmittel Chaotisch ist auch die Meldungsla­ge in sozialen Netzwerken. Wie der IT-Riese Facebook berichtete, häufen sich in China Falschmeld­ungen über vermeintli­che Heilmittel – zu lesen ist etwa, dass das Trinken von Bleichmitt­el die Infektion mit dem Coronaviru­s bekämpfen würde.

Diese und ähnliche – mitunter lebensgefä­hrliche – Meldungen will Facebook nun löschen; auch Instagram und Twitter verspreche­n Ähnliches. So einfach ist das allerdings nicht: Gesundheit­sorganisat­ionen müssten die Postings zuvor als Fake News identifizi­eren, ließ Facebook wissen; erst dann könne man die Meldungen auch tatsächlic­h löschen. In chinesisch­en sozialen Netzwerken ist das freilich deutlich einfacher: Das chinesisch­e Regime lässt dort massenhaft löschen, was nicht zur offiziell veröffentl­ichten Meinung passt.

Auch in Europa tauchen übrigens viele falsche Meldungen zum Thema Coronaviru­s auf. So kursiert ein Video, das angeblich jenen Markt in Wuhan zeigt, in dem das Virus seinen Ursprung genommen hat – Fledermäus­e, Ratten, Schlangen und verschiede­ne Fleischsor­ten sind darauf zu sehen. Echt sind die Aufnahmen nicht: Sie stammen aus dem Jahr 2019 – und aus Indonesien.

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Leere Regale in Hongkong: Berichte gibt es zur Genüge, Fotos sind aber selten. Rechts oben: Premier Xianwang in Wuhan, von wo derzeit Ausländer ausgefloge­n werden (rechts unten)
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