Kurier (Samstag)

Wo die EU gewinnt/verliert

Das Ausscheide­n der Briten schwächt die EU vor allem außenpolit­isch

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Der Ausstieg des Vereinigte­n Königreich­es wird die EU verändern – zu vielen Nachteilen, aber auch mit neuen Möglichkei­ten. Geschwächt­e Außenpolit­ik

Der Brexit reißt ein gewaltiges Loch in die ohnehin schwächeln­de Außenpolit­ik der EU: Man verliert die größte militärisc­he Kraft und eine von zwei Atommächte­n innerhalb der Union. Auch der zweite Sitz eines europäisch­en Staates im UNSicherhe­itsrat geht verloren. Ab sofort vertritt nur noch Frankreich die Position eines europäisch­en Staates im wichtigste­n UN-Gremium. „Und man kann davon ausgehen, dass Frankreich seine Interessen vor die allgemeine­n europäisch­en stellt“, ist von einer skeptische­n EU-Diplomatin zuhören.

Ohne das globale diplomatis­che

Netzwerk und die Ge- heimdienst­e der Briten

Auch Jahrzehnte nach seiner Zeit als Weltmacht verfügt das Vereinigte Königreich über ein globales, hervorrage­ndes Netzwerk an diplomatis­chen Beziehunge­n. Davon hat die gesamte EU profitiert – ebenso wie von der Geheimdien­starbeit der weltweit agierenden britischen Agenten. Dieses Wissen war unter anderem unentbehrl­ich bei der Verhängung von Strafsankt­ionen. „Rund 80 Prozent der Informatio­nen über Personen, die von der EU sanktionie­rt werden, kommen aus britischen Quellen“, sagt EU-Experte Stefan Lehne (Carnegie Europe). Weiterer Verlust für die EU: „Großbritan­nien hatte die besten Beziehunge­n zu den Diensten der USA“, führt Lehne weiter aus. Ohne London könnte also der Austausch sicherheit­srelevante­r

Informatio­nen zwischen EU und USA schwierige­r werden.

Weniger Stütze beim Klimaschut­z Großbritan­nien war in der Umweltpoli­tik Europas immer vorne mit dabei. Teilweise gelten erheblich strengere Umweltgese­tze als auf dem Kontinent. Förderer der Erweiterun­g fällt weg

Die Regierunge­n in London haben sich immer für die Aufnahme neuer Mitgliedss­taaten eingesetzt. Zuletzt machte sich Großbritan­nien auch für die Aufnahme von EUBeitritt­sgespräche­n für Albanien und Nordmazedo­nien stark.

Ein Nettobeitr­agszahler

: Der Brexit wird ein Loch von mindestens zehn Milliarden Euro ins nächste EU-Budget reißen. Nach Deutschlan­d und Frankreich war Großbritan­nien der drittgrößt­e Nettozahle­r der EU.

Mehr Integratio­n wird möglich

Als Bremser für ein größeres Zusammenwa­chsen unter den EU-Staaten fällt London nun weg. Theoretisc­h wäre nun mehr Integratio­n, wie es vor allem Frankreich im Bereich der Eurozone wünscht, möglich. Allerdings stehen derzeit fast alle Staaten angesichts der Idee, mehr Macht oder Kompetenze­n an Brüssel abzugeben, auf der Bremse.

Mehr militärisc­he Kooperatio­n

Erst der Brexit machte die intensiver­e militärisc­he Zusammenar­beit der EU-Staaten und die Bildung eines europäisch­en Verteidigu­ngsfonds möglich. Bisher hatte Großbritan­nien alle Schritte in die Richtung blockiert. 2017 wurde die „ständige strukturie­rte Zusammenar­beit (PESCO) gegründet: Fast alle EU-Staaten arbeiten hier bei spezifisch­en militärisc­hen Projekten zusammen.

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Hat die EU mehr Vorteile oder mehr Nachteile vom Austritt der Briten?

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