Attentat auf Roma: „Mussten mit der Angst leben“
Oberwart. Der Bombenanschlag schockierte 1995 das Land und jährt sich heuer zum 25. Mal. Die Volksgruppe der Roma hat sich seit damals verändert. Immer mehr verlassen die Roma-Siedlungen.
„Wenn ich heute dort bei der Romasiedlung runterschaue, sehe ich noch den Gatsch, das Blut und die Hautfetzen“, sagt Tina Nardai. Sie war elf Jahre alt, als eine Rohrbombe vier Oberwarter Roma in der Nacht auf 5. Februar 1995 in den Tod riss. Josef Simon (✝ 40), Peter Sarközi (✝ 27), Karl Horvath (✝ 22) und Erwin Horvath (✝ 18) wurden tödlich verletzt. Die Bilder haben sich in Nardais Kopf gebrannt.
Und dieser Tag im Februar war ein Tag, der die Volksgruppe verändert hat. „Wir waren Kinder, es hat niemand mit uns darüber geredet. Es gab kein Kriseninterventionsteam, wir haben damit leben müssen und mit der Angst nach dem Anschlag“, sagt Nardai.
Ihre Tochter Alysea ist heute so alt wie sie damals beim Attentat. Sie und ihre Schulkollegen bereiten gemeinsam mit Manuela Horvath vom Romapastoral der Diözese Eisenstadt die Gedenkfeier vor (siehe Zusatzbericht Anm.). „Es war totales Chaos in der Siedlung“, schildert Horvath. Sie war zehn Jahre alt, als ihr Onkel am 5. Februar 1995 in der Früh am Rande der Siedlung die vier Leichen entdeckte. Angst
An die Angst können sich noch alle erinnern, keiner wusste damals, wer für die Bombe verantwortlich war und ob es weitere Anschläge geben würde. „Beim Begräbnis waren vermummte Polizisten mit Gewehren am Dach der katholischen Kirche. In der Zeit danach durften wir nicht mehr ohne Erwachsene draußen spielen“, erinnert sich Horvath. Das Geschehene ganz zu verarbeiten, sei unmöglich.
„Es gehört zur jüngsten Zeitgeschichte, diese rassistischen Anschläge kann man nicht einfach streichen. Es war nicht nur die Rohrbombe in Oberwart“, sagt Horvath. Gemeinsam mit den Schülern hat sie die Biografien der Opfer erforscht. Mit einem Film haben die Jugendlichen das Geschehene aufgearbeitet. „Wir haben bei der Gedenkstätte gefilmt und Interviews mit Zeitzeugen des Attentats geführt. Der ehemalige Bischof Paul Iby schilderte uns, wie er diesen Tag erlebt hat“, sagt Alysea Nardai. Die Mädchen machen bei der Volksgruppenarbeit gerne mit. Veränderung
Dass sie Roma sind, ist für die Jugendlichen ganz normal. „Ich stehe dazu“, sagt Alysea. Auch Vanessa hat kaum Negatives erlebt. Wobei: „Ab und zu schimpft uns schon wer Zigeuner“. Sonst fällt den beiden nichts ein, wo es Probleme wegen ihrer Herkunft oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gebe. „Als Zigeunerkind Ende der 80er-Jahre würde mir schon einiges einfallen. Wir hatten es nicht einfach in der
Schule“, sagt Tina Nardai. Sie ist froh, dass ihre Kinder und andere Roma diese Erfahrungen nicht mehr machen müssen. „Im Schulbereich hat sich wirklich viel getan, und egal ob Roma oder nicht – alle haben heute die gleichen Chancen im Bildungswesen“, ist sich Nardai sicher.
Die Romasiedlung am Rand der Stadt verwaist zusehends. Nur noch 55 Bewohner leben hier, 1995 waren es etwa 160. Tina Nardai und Manuela Horvath sind weggezogen, kommen aber noch ihre Verwandten besuchen. Zur Identität der Volksgruppe trage die Siedlung für sie nicht bei. „Jeder hat die freie Entscheidung, wo er oder sie wohnt. Die Volksgruppenmitglieder haben heute viel mehr Möglichkeiten als unsere Großelterngeneration“, sagt Horvath.
Das Attentat hat die Volksgruppe verändert. „Es ist nicht einfach, damit umzugehen, aber es ist wichtig, dass es eine Möglichkeit gibt, immer wieder an die Opfer zu erinnern“, sagt Horvath. Angst vor neuen Anschlägen haben sie nicht. „Aber 1995 hat auch niemand damit gerechnet“, sagt Nardai.