Kurier (Samstag)

Wann ist eine Pflichttei­lsminderun­g zulässig?

- VON DR. MARIA IN DER MAUR-KOENNE rechtprakt­isch@kurier.at

Nach meiner Scheidung vor 30 Jahren wurden meine beiden Kinder von meiner Ex-Frau so gegen mich aufgehetzt, dass bis heute keine familienäh­nliche Beziehung besteht. Allenfalls habe ich meine Kinder ein bis zwei Mal jährlich in einem Kaffeehaus für wenige Stunden getroffen. 2016, nach einer schweren Erkrankung meiner Frau, wollte ich meine Verlassens­chaft regeln und habe beiden Kindern angeboten, ihnen Geld für einen Pflichttei­lsverzicht zu geben. Darauf hin hat mich mein Sohn letztklass­ig per eMail beschimpft, weil er den Betrag für zu gering hielt.

Seither habe ich wieder gar keinen Kontakt mehr zu beiden Kindern. Kann ich beiden Kindern den Pf lichtteil kürzen? Wer müsste die Zerrüttung nachweisen? Wäre es besser, sich zumindest mit einem der beiden Kinder doch auf einen Pflichttei­lsverzicht zu einigen?

S.A., per eMail

Lieber Herr A., es tut mir leid, dass das Verhältnis zu Ihren Kindern so schlecht ist. Richtig ist, dass der Erblasser bei fehlendem Naheverhäl­tnis zu einem Pflichttei­lsberechti­gten den Pflichttei­l gemäß § 776 ABGB um die Hälfte mindern kann. Neben Ihrer Ehefrau hätten Ihre beiden Kinder einen Pflichttei­lsanspruch von je einem Sechstel Ihrer Verlassens­chaft. Durch eine zulässige Pf lichtteils­minderung würde sich dieser Anteil daher auf ein Zwölftel für jedes Kind reduzieren.

Eine Pflichttei­lsminderun­g ist nur dann zulässig, wenn der Erblasser nicht von sich aus den Kontakt grundlos gemieden hat, oder er selbst Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat.

Seit der Neuregelun­g des Erbrechts im Jahr 2017 reicht es für eine Pflichttei­lsminderun­g auch aus, dass das Naheverhäl­tnis über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Erblassers nicht bestanden hat.

Da Sie schreiben, erst seit 2016 wieder gänzlich keinen Kontakt zu Ihren Kindern zu haben, ist eine Pflichttei­lsminderun­g wohl noch nicht zulässig. Frühestens nach etwa zehnjährig­em, sicherlich nach einem etwa zwanzigjäh­rigem gänzlichem Kontaktabb­ruch wird eine Pflichttei­lsminderun­g

zulässig sein.

Eine derartige Pflichttei­lsminderun­g ist in einer letztwilli­gen Verfügung vorzunehme­n. In einem Testament können Sie daher Ihre Ehefrau zur Alleinerbi­n einsetzen und Ihre beiden Kinder auf den Pflichttei­l setzen, sowie festhalten, dass seit 2016 ein gänzlicher Kontaktabb­ruch besteht und Sie daher ihren Kindern den Pflichttei­l um die Hälfte mindern.

Für den Fall, dass zum Zeitpunkt Ihres Todes der gänzliche Kontaktabb­ruch bereits mehr als zehn Jahre bestand, wäre die Pflichttei­lsminderun­g dann voraussich­tlich gültig. Würden Ihre Kinder nach Ihrem Tod behaupten, dass kein gänzlicher Kontaktabb­ruch auf die

Hälfte stattgefun­den hat und die Pf lichtteils­minderung daher zu Unrecht erfolgte, müssten sie das auch beweisen.

Schon im Hinblick darauf, dass eine Pflichttei­lsminderun­g nach Ihren Schilderun­gen derzeit nicht zulässig wäre, ist es jedenfalls ratsam, sich mit zumindest einem der beiden Kinder zu einigen. Der Pflichttei­lsverzicht erhöht die Pflichttei­le der anderen Pflichttei­lsberechti­gten nicht mehr. Über den frei gewordenen Anteil könnten Sie daher danach frei verfügen. Überhaupt könnte durch eine Einigung ein Streit nach Ihrem Tod vermieden werden, weshalb es sicherlich sinnvoll ist, eine Lösung schon zu Lebzeiten anzustrebe­n.

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