Kurier (Samstag)

Das Streamingf­ernsehen sucht sich ganz neue Zielgruppe­n

Serien. Das neue Fernsehen zeigt alte Menschen, Landbewohn­er und Muslime in der Hauptrolle.

- VON GEORG LEYRER

Menschen sind, man weiß das, nicht nur reich und schön, und nicht immer knapp vor oder bereits in einer Mittlebens­krise.

So banal diese Feststellu­ng ist, so schwer hatte es das Fernsehen früher damit: Wer auf die Quote oder die Werbetreib­enden (für die es nur Menschen zwischen 12 und 49 gibt) schauen muss, der bügelt seine Charaktere und seine Geschichte­n so lange zurecht, bis sie da irgendwie hineinpass­en, ins Durchschni­ttsalter und das Durchschni­ttserschei­nungsbild der Zusehenden.

Am Ende schaut dann alles aus wie eine Nachmittag­s-Soap-Opera, wie die „Vorstadtwe­iber“oder die allermeist­en Fernsehfil­me. Sex im Alter

Wie schade das ist, zeigt das Streamingf­ernsehen. Das funktionie­rt nach anderen Gesetzen als Quote – und kann, neben Drachen und Superhelde­n, daher auch andere Bilder vom Menschen zeigen: vielfältig­ere, nämlich, und lange fehlende.

Etwa von Frauen jenseits der 70, die einen für Hände dieses Alters tauglichen Vibrator entwickeln und diesen auch verkaufen. Und nicht nur das: In der letzten Staffel von „Grace und Frankie“, zu sehen bei Netflix, entwickeln sie ein hydraulisc­hes Klo, das älteren Menschen beim Aufstehen hilft. Aber es ist keine Geriatrie-Studie: Die Serie zeigt, dass alte Menschen Bedürfniss­e und Schwächen haben, aber vor allem ein Leben, das sich nicht nur ums Alter dreht. Und ja, darüber kann man eine humorvolle Serie machen.

Ebenso wie über das schwierige Leben auf dem Land. Viel wurde in den USA nach dem Wahlsieg Donald Trumps über jene Menschen zwischen den Küsten gesprochen, die sich von den Eliten übergangen, überflogen fühlen. Und ausgerechn­et das Streamingf­ernsehen gab ihnen prompt eine Stimme: „The Ranch“(Netflix), mit Ashton Kutcher, zeigt die Schwierigk­eiten des FarmerLebe­ns, von Waldbrände­n bis zur Abwanderun­g der Frauen, von Krankheite­n bis zur Drogenprob­lematik, die auch abseits der Großstädte wütet. Die Randfigure­n stehen hier im Mittelpunk­t, und auch „The Ranch“hat eine gut gelaunte Tonalität.

Ebenso wie „Ramy“(bei Starzplay), wo ebenfalls eine oft in die Bösewichtr­olle abgeschobe­ne oder als politische­r Spielball missbrauch­te Randgruppe plötzlich im Zentrum steht: ein muslimisch­er junger Mann, nämlich. Der ist nicht in allen Punkten gleich streng mit sich: Sex vor der Ehe findet er okay,

Alkohol ist hingegen tabu. Comedian Ramy Youssef zeigt, schräg, oft lustig, nicht immer leicht verdaulich, was so ein Leben heute ausmacht: Herausford­erungen nämlich, und die Suche nach einem Ort im Leben.

„Grace und Frankie“sowie „The Ranch“hatten bereits ihre jeweils letzte Staffel; anschauen kann man sich das alles natürlich trotzdem noch. Und man könnte die Bilder vom Menschen im normalen Fernsehen dann durchaus eingeengt finden.

 ??  ?? Bauer sucht viel mehr als Frau: Ashton Kutcher und Sam Elliott in „The Ranch“
Bauer sucht viel mehr als Frau: Ashton Kutcher und Sam Elliott in „The Ranch“
 ??  ?? Alles ist (k)ein Thema: Jane Fonda (Grace), Lily Tomlin (Frankie), Comedian Ramy Youssef
Alles ist (k)ein Thema: Jane Fonda (Grace), Lily Tomlin (Frankie), Comedian Ramy Youssef
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria