Nach Wahldesaster in Thüringen: CDU und FDP suchen Wege aus der Krise
Kramp-Karrenbauer trifft SPD-Spitze, Lindner bleibt Parteichef
Berlin. Der von AfD und CDU zum Regierungschef gewählte FDP-Regionalpolitiker Thomas Kemmerich hat die Spitzen von CDU und FDP in eine Krise gestürzt. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wird Führungsversagen vorgeworfen. Sie konnte ihren Landesverband, obwohl das Szenario bekannt war, nicht davon abhalten, mit der AfD zu stimmen. Die Thüringer CDU will sich auch weiterhin von Berlin nichts vorschreiben lassen, lehnt Zurufe nach Neuwahlen ab.
Treffen mit SPD
Neben der internen Debatte muss sich Kramp-Karrenbauer heute dem Koalitionspartner SPD stellen. Dabei geht es um ihren Vorschlag, die SPD solle in Thüringen einen Kandidaten aufstellen. Dieses Manöver könnte die schon ohnehin angespannte Stimmung in der Koalition weiter belasten.
In der FDP überstand Parteichef Christian Lindner gestern zwar die Vertrauensfrage. Aus der Defensive bringt ihn das noch nicht. Die Abgrenzung der FDP von der AfD sei viel zu spät erfolgt, sagen die Kritiker.
Der Mann, der mit drahtlosem Headset auf der Bühne auf- und abläuft, braucht kein Manuskript. Er ist rhetorisch stilsicher, ebenso optisch. So kennt man Christian Lindner, 40 Jahre alt, Chef der liberalen Freien Demokraten (FDP). Der Mann, der bei der Bundestagswahl 2017 eine erledigte Partei im Alleingang zurück ins Parlament führte.
Mittwochnachmittag steht ein Lindner vor den Reportern, der von Kärtchen liest, angespannt wirkt. In Thüringen wurde Thomas Kemmerich (FDP) zum Regierungschef gewählt – durch Stimmen der AfD, die ihren Kandidaten fallen ließ. Eine Volte, vor der er gewarnt war. Doch was Lindner sagen wird, ist eine halbherzige Distanzierung, als gäbe es noch was zu gewinnen.
Dabei hätte er fast alles verloren: Nach Protesten und Parteiaustritten stellte er in der FDP die Vertrauensfrage – und gewann. Er räumte ein, dass er „einer Fehleinschätzung der AfD erlegen“sei.
Was dennoch hängen bleibt, ist der Eindruck: Lindner hat sich verzockt – wie schon 2017, als er nach der Wahl die Gespräche für eine Koalition mit CDU/CSU und Grünen scheitern ließ. Noch ehe sich die anderen versahen, trat er vor die Kameras. Es fiel jener Satz, der ihn bis heute verfolgt: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“Lindner, dem Verantwortungslosigkeit vorgeworfen worden war, drehte den Spieß um: Er sei Politiker der Überzeugungen. Die Kanzlerin wäre nur Grünen entgegengekommen, lautet seither seine Erzählung.
Damit wollte er das Image der FDP loswerden: Eine Umfallerpartei, die erstaunliches Biegepotenzial hat, wenn es zu ihrem Vorteil ist. Schon zuvor gelang es ihm, die FDP, die 2013 aus dem Bundestag geflogen war, zu revitalisieren. Er war sich für keinen Auftritt zu schade, verteilte Visitenkarten und setzte sich im Wahlkampf auf Plakaten in Szene:
In Schwarz-Weiß-Optik posierte er wie ein Hugo-Boss-Model. Das Handy in der Hand, dazu die Unterschrift in Magenta-Gelb: „Digital first. Bedenken second.“Die FDP, Gründungsjahr 1948, wirkte wie ein Start-up – bereit, die Szene in Berlin aufzumischen. Vom Comeback zur Krise Sein Plan ging auf. Vier Jahre nach dem Regierungsaus holte die FDP 2017 fast zehn Prozent und fand sich in Sondierungsgesprächen wieder – bis Lindner absprang. Nicht ohne Ziel, wird ihm nachgesagt: Er hoffte auf den Rücktritt von Merkel oder Neuwahlen, wo ihm CDU-Wähler in die Arme laufen hätten sollen. Nichts davon ist eingetreten. Die Realität sieht so aus: SPD und Union regieren mehr oder weniger friktionsfrei, die FDP sitzt auf der Oppositionsbank.
Im politischen Alltag fällt die FDP kaum auf, es sei denn, ihr Chef gibt Interviews mit Sagern, etwa zum Thema Asyl, wo er an der AfD-Linie schrammt. Oder Klimaschutz zur „Sache der Profis“erklärt. Dieser Satz zu den Protesten der Fridays-for-Future-Bewegung löste Empörung aus.
In den eigenen Reihen drängten junge Mitglieder darauf, dass er auf die Gruppe zugehen soll. Studenten, Schüler, Städter sind auch FDPZielgruppe. Dass sie sich bei den Wahlen 2018 den Grünen zuwandten, genauso wie enttäuschte SPD- und CDU-Wähler, ist bitter. Ausgerechnet der „Lieblingsfeind“, an dem sich Liberale gerne reiben, hat geschafft, was Lindner gelingen wollte: Eine Partei, die künftig in Berlin mitregieren wird. Wären am Sonntag Wahlen, kämen die Grünen auf Platz zwei (22 %), die FDP stünde bei 7 Prozent. „Schwarz-Grün“gilt als Zukunftsmodell.
Selbst wenn Lindner die Vertrauensfrage nun überstanden hat – auch in Ermangelung an personelle Alternativen – steht er unter Beobachtung. In zwei Wochen wählt Hamburg, das wird für die FDP schwer. PR-Sprüche alleine werden nicht reichen.