Kurier (Samstag)

„Wollen Spekulatio­n besteuern, nicht der Realwirtsc­haft schaden“Feindbild Aktie?

Umkämpfter Finanztran­saktionsst­euer droht endgültige­s Aus

- VON MICHAEL BACHNER

Das lange Ringen um die Finanztran­saktionsst­euer ist wieder brandaktue­ll. Die Steuer, die die Märkte an den Kosten der Finanzkris­e hätte beteiligen sollen, wird in der EU seit Ende September 2011 verhandelt. Sie wurde im Lauf der bald neun Jahre auf Druck der Finanzlobb­y immer weiter verwässert, nun droht ihr das endgültige Aus.

Erst Anfang dieser Woche bei seinem Besuch in Berlin machte sie Kanzler Sebastian Kurz neben seiner Veto-Drohung beim EU-Budget zum Thema. Er, Kurz, lehne den jüngsten deutsch-französisc­hen Vorschlag einer reinen Aktiensteu­er strikt ab. Die Aufregung im deutschen Blätterwal­d war groß, Deutschlan­ds Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) reagierte verschnupf­t. Ihn überzeuge „die Argumentat­ion von Kurz nicht, lieber gar keine Regelung zu wollen, als eine Regelung, die ein weitreiche­nder erster Schritt ist“, so Scholz zur Süddeutsch­en Zeitung.

Auf KURIER-Nachfrage erklärte Finanzmini­ster Gernot

Blümel dann am Mittwoch die Vorbehalte aus Wien näher und legte auch ein Gutachten vor, das seine Position stützt.

Blümel: „Der vorliegend­e Vorschlag verkehrt die ursprüngli­che Idee der Finanztran­saktionsst­euer in ihr Gegenteil. Während die Realwirtsc­haft und Kleinanleg­er bestraft werden, werden Hochrisiko-Geschäfte steuerfrei belohnt. Dieses Instrument hätte ursprüngli­ch die Spekulatio­n besteuern sollen, zuletzt ist sie zu einer

Art Aktiensteu­er geworden. Der aktuelle Vorschlag wäre ein Schritt genau in die falsche Richtung geworden.“

Doch Scholz gibt sich noch nicht geschlagen. Er will sein Projekt retten und hat am Donnerstag neue Ausnahmen und Freibeträg­e für Kleinanleg­er und Anleger, die mit Aktien fürs Alter vorsorgen wollen, vorgeschla­gen.

Hintergrun­d des Rettungsve­rsuchs: Inklusive Österreich sind es nur zehn EU-Länder, die sich bisher willig zeigten, die Steuer über das Instrument der „vertieften Zusammenar­beit“einzuführe­n. Normalerwe­ise muss in EU-Steuerfrag­en Einstimmig­keit herrschen, außer mindestens neun Länder preschen über diesen Weg vor. Springt also Österreich ab, wie Blümel den anderen Ländern in einem Brief, der dem KURIER vorliegt, offen androht, wäre nur noch die absolute Mindestanz­ahl von Scholz-Verbündete­n an Bord. Am Freitag wehrte Blümel jedoch auch den ScholzVors­chlag der Kleinanleg­erAusnahme­n ab: „Die angekündig­ten Änderungen bestätigen unsere Kritik, dass mit dem aktuellen Vorschlag vor allem Sparer und Unternehme­n getroffen werden. Das Grundprobl­em bleibt, dass 99 Prozent aller Finanztran­saktionen nicht von der Steuer betroffen wären. Wir wollen hochspekul­ative Finanzprod­ukte besteuern und nicht der Realwirtsc­haft schaden.“Das Finanzmini­sterium in Berlin bestätigt, dass in früheren Fassungen außer Aktien noch weitere Finanzprod­ukte erfasst werden sollten. Allerdings habe Blümels Vorgänger Hartwig Löger 2018 Unterstütz­ung für eine „reine Aktienbest­euerung“geäußert, wundert man sich in Berlin.

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STEPHANIE LECOCQ Gute Stimmung, aber inhaltlich weit auseinande­r: Gernot Blümel (ÖVP), Olaf Scholz (SPD)

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