Kurier (Samstag)

„Mittelalte­rliches System“

Staatsanwa­lt, Ex-Abgeordnet­er und Regierungs­verhandler Walter Geyer über die mangelnde Gewaltentr­ennung in Österreich und die Gefahren für die Grünen im Streit um die Korruption­sstaatsanw­altschaft

- VON DANIELA KITTNER

Am Montag gibt es im Kanzleramt eine Aussprache mit Sebastian Kurz, Justizmini­sterin Alma Zadic, EU-Ministerin Karoline Edtstadler und Justizvert­retern. Anlass ist die KanzlerKri­tik an der angeblich roten Korruption­sstaatsanw­altschaft. Der KURIER sprach mit dem ersten Chef der Anti-Korruption­sbehörde, Walter Geyer.

KURIER: Herr Geyer, als langjährig­er Ex-Staatsanwa­lt: Wie ordnen Sie die Justizsche­lte von Kanzler Sebastian Kurz ein? Wie wirkt so etwas? Walter Geyer: Ich sehe das als Angriff auf die Justiz mit dem Zweck, Druck aufzubauen, damit „sanft“ermittelt wird.

Sie haben als Staatsanwa­lt einst gegen Hannes Androsch ermittelt. Haben Politiker nicht immer über die Justiz gejammert, wenn sie betroffen waren? Ich erinnere mich an die SPÖ, als es um Sinowatz, Gratz, Blecha ging.

Es ist ein Unterschie­d, ob man das mit offenem Visier macht. In einem Hintergrun­dgespräch ist das einmalig. In Bezug auf die Korruption­sstaatsanw­altschaft hat es das in meiner Zeit nicht gegeben. Vielleicht hatte man anfangs Respekt vor dieser neuen Behörde, die extra von Berichtspf­lichten entbunden wurde, um Korruption zu bekämpfen.

Berichtspf­licht heißt: Die Behörde erzählt ihren Vorgesetzt­en nicht nur, was sie getan hat, sondern meldet auch, was sie vorhat, und muss sich die Vorhaben genehmigen lassen. Zum Verständni­s für NichtStaat­sanwälte – ist das so?

Richtig. Berichtspf­licht ist wie eine Zensur. Und solche Berichtspr­ozeduren dauern oft ewig, ich habe von einem Fall gehört, in dem es angeblich vier Jahre dauerte. Das ist auch ein Grund, dass sich Verfahren so lange dahinschle­ppen.

Aber die Korruption­sbekämpfer haben ja nur eingeschrä­nkte Berichtspf­licht.

Anfangs gab es gar keine Berichtspf­licht. Zuletzt wurden unter ÖVP-Justizmini­stern die unsägliche­n Berichtszü­gel wieder angezogen. Das war ja auch ein Hintergrun­d für den Streit zwischen Strafsekti­onschef Pilnacek und der WKStA.

Haben Sie als Jurist nicht auch Verständni­s für Betroffene, die öffentlich durch den Kakao gezogen werden, oft auf Basis einer anonymen Anzeige, wo noch gar nicht klar ist, wie viel Fleisch am Knochen ist?

Wenn eine Sache anrüchig aussieht, muss die Justiz die sensible Entscheidu­ng treffen, dem nachzugehe­n. Darum kommt sie nicht herum. Aber die Aufgeregth­eit der Medien trägt dazu bei, dass man die Unterschie­de zwischen einem ersten Anschein und einem erhärteten Verdacht nicht mehr wahrnimmt.

Sie sind einst für die Grünen im Nationalra­t gewesen. Was erwarten Sie von der Aussprache

beim Kanzler am Montag?

Für die Grünen ist die Korruption­sbekämpfun­g neben dem Umweltschu­tz ein Kernthema. Wenn sie jetzt hier nachgeben, wäre das ein Schuss ins eigene Knie. Das ist eine sehr gefährlich­e Situation für die Grünen.

Ist wirklich die Justiz in Gefahr, nur wenn ein Kanzler Kritik übt? Unsere Institutio­nen sind doch fest verankert, die müssten doch Kritik auch von einem Kanzler aushalten.

Sie haben Recht und Unrecht. Richtig ist, unser Rechtsstaa­t kann so etwas aushalten. Aber: Nur zwei EU-Länder haben die Gewaltentr­ennung noch nicht vollzogen, eines ist Österreich. Bei uns kann der Justizmini­ster immer noch Einfluss auf Justizverf­ahren nehmen. Das ist mittelalte­rlich.

Was wären Alternativ­en?

Entweder ein Bundesstaa­tsanwalt als vorgesetzt­e Behörde der Staatsanwä­lte. Oder, wie in Italien, Staatsanwä­lte wie Richter weisungsfr­ei zu stellen. Berlusconi wurde von weisungsfr­eien Staatsanwä­lten vor Gericht gebracht und hat dann auch die Justiz als links beschimpft. Wie bei uns.

Haben Sie wirklich den Eindruck, die ÖVP will die Korruption­sstaatsanw­altschaft abwürgen? Sie haben dieses Kapitel bei den Regierungs­verhandlun­gen mit der ÖVP verhandelt. Wie war denn das?

Schwierig. Aber ich sage nichts, denn wir haben Vertraulic­hkeit vereinbart.

Das ist inzwischen wurscht, bestimmte Leute halten sich sowieso nicht daran.

Ich schon.

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Bei einem Hintergrun­dgespräch beschwerte sich Kanzler Kurz über die Anti-Korruption­sbehörde. Am Montag folgt ein klärendes Gespräch

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