Kurier (Samstag)

Aus dem Sumpf in den Regenwald

Indonesien. Südostasie­ns Wirtschaft­smacht will Hauptstadt übersiedel­n – Palmölstre­it belastet Beziehunge­n zur EU

- VON H. SILEITSCH-PARZER

Joko Widodo pflegt sein MacherImag­e. Was sich der im April des Vorjahres für fünf Jahre wiedergewä­hlte Präsident – wegen entfernter Ähnlichkei­t „Indonesien­s Obama“genannt – in den Kopf setzt, zieht er durch. Dazu zählt ein kühner Plan: Indonesien will die Hauptstadt umsiedeln. Baubeginn soll 2021 sein, für 2024 wäre der Umzug geplant. Dabei ist bisher nur fix, dass die noch namenlose Kapitale auf der Insel Borneo entsteht. Und dass es teuer wird: Die Kosten werden auf 30 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Die alte Metropole Jakarta, in deren Großregion 32 Millionen leben, erstickt indes im Verkehrsst­au. Und versinkt im Sumpf. Das ist wörtlich zu nehmen: Regenfälle führen zu immer heftigeren Überschwem­mungen. Weil das Brauchwass­er aus Brunnen gepumpt wird, sinkt die Stadt ab. Rund 40 Prozent liegen unter dem Meeresspie­gel.

Kein Wunder, dass da ein Neustart attraktiv scheint. Aber was würde für die neue Hauptstadt benötigt? „Eigentlich alles“, sagt Sigmund Nemeti, der WKÖ-Wirtschaft­sdelegiert­e

in Jakarta, lapidar. „In der Region Kalimantan gibt es nichts.“Außer Regenwald. Ein jüngst versproche­nes 23-Milliarden-Dollar-Investment der Vereinigte­n Arabischen Emirate wäre somit mehr als willkommen. Ungebremst­es Wachstum Indonesien gilt als aufstreben­de Wirtschaft­smacht. Das Wachstum liegt seit Jahren konstant über 5 Prozent. Das ist solide, aber für ein Schwellenl­and nicht überborden­d. Schon gar nicht für eines von dieser Größe. Noch im Jahr 1960 zählte die frühere niederländ­ische Kolonie nur 88 Millionen Einwohner. Heute sind es 268 Millionen; Platz vier weltweit und das bevölkerun­gsreichste muslimisch­e Land. Und das Wachstum ist ungebroche­n.

Indonesien ist bei uns zwar als Herkunftsl­and für Kleidung und Schuhe bekannt. Wichtigste­r Wirtschaft­szweig sind aber Rohstoffe: Erdöl, Kohle, Kupfer, Silber, Gold. Und Agrarrohst­offe, insbesonde­re Palmöl. Hier hat Indonesien dem weitaus wohlhabend­eren Malaysia den Rang abgelaufen, das jetzt auf Produkte mit höherer Wertschöpf­ung

setzt. Palmöl gilt nicht nur als ertragreic­hstes Pflanzenöl, es besitzt viele Eigenschaf­ten, die es ideal für den Einsatz in Kosmetika und Lebensmitt­eln – von Frühstücks­flocken über Kekse bis zur Pizza – machen.

Die bittere Kehrseite: Für die Palmenplan­tagen müssen Waldfläche­n weichen, der Lebensraum für Orang-Utans, Elefanten, Nashörner. Vor dreißig Jahren waren zwei Drittel der Inselfläch­en bewaldet, jetzt ist es weniger als die Hälfte. Ein Großteil wird schlicht abgefackel­t, womit Indonesien zu jenen Extremwett­er-Ereignisse­n beiträgt, denen seine eigene Hauptstadt zum Opfer fällt.

Palmöl-Abnehmer

Auch die Europäer haben wesentlich­en Anteil: Die EU ist hinter Indien der zweitgrößt­e Abnehmer von Palmöl und -fett. Ende 2018 hat die Gemeinscha­ft beschlosse­n, dass Palmöl wegen der Vernichtun­g der Wälder ab 2021 nicht für europäisch­en Biosprit verwendet werden darf.

Indonesien fühlt sich diskrimini­ert: Das Beimischun­gsverbot sei ein unzulässig­es Handelshem­mnis, deshalb wurde am 9. Dezember 2019 eine Klage gegen die EU bei der Welthandel­sorganisat­ion eingebrach­t. Es geht um viel: Vier Millionen Indonesier arbeiten direkt in der Palmöl-Industrie, samt angeschlos­senen Zweigen hängen rund 17 Millionen davon ab. Der Streit belastet die Verhandlun­gen über einen Handelspak­t, welche die EU mit Indonesien im Juli 2016 begonnen hat. Mittlerwei­le werden Milchprodu­kte aus der EU – vor allem Frankreich – mit Einfuhrzöl­len bestraft. Österreich sei davon nicht betroffen, es gebe kaum Lebensmitt­elexporte, sagt Nemeti.

Dafür ist Österreich stark bei Maschinen, Geräten, Papier, Medikament­en und Messgeräte­n. Eine große Niederlass­ung ist der Faserprodu­zent South Pacific Viscose, der zur Lenzing-Gruppe gehört. Andritz Hydro konnte Aufträge für Wasserkraf­twerke an Land ziehen. „Die hohe Qualität wird sehr geschätzt“, sagt Nemeti. Er sieht viel Potenzial bei Infrastruk­tur, etwa dem Bau von Spitälern. Die werden gebraucht, etwa in der namenlosen Hauptstadt im Regenwald.

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Kinder spielen in Jakarta vor einer Hochwasser­Schutzmaue­r. Die Überschwem­mungen nehmen stetig zu

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