Kurier (Samstag)

Wider die Wegwerfges­ellschaft

Der Unterschie­d ist der Glaube, der sich um keine Fakten schert Ins eiskalte Wasser zu den Göttern gestoßen

- P.P. P.P.

Über Nationalis­mus. George Orwell kannte die Macht – als britischer Kolonialpo­lizist in Birma sowieso, aber auch von der anderen Seite als Tellerwäsc­her, und als Schriftste­ller lieferte er Weltlitera­tur über totalitäre Regime („Farm der Tiere“, „1984“).

Sein Essay „Über Nationalis­mus“, jetzt erstmals übersetzt, ist aus dem Jahr 1945. Wie schaffte es George Orwell schon damals, den Brexit zu kritisiere­n?

Besessen

Er unterschie­d genau zwischen Patriotism­us (man will seine Verbundenh­eit zu einem Ort / zu einer Lebensweis­e niemandem aufzwingen) und Nationalis­mus (besessener Glaube mit Machtanspr­uch). Nationalis­mus ist nicht auf Staaten beschränkt, auch auf Religionen kann er zutreffen, auch auf Gruppen ... etwa auf die Einpeitsch­er des Brexit (wie der Soziologe Armin Nassehi im Nachwort ausführt): Orwell hätte eine Elite, die sich um Fakten nicht geschert hat, verachtet. Sein Gedankenge­bäude kann also durchaus sogar als aktuell gelten.

George Orwell: „Über Nationalis­mus“Übersetzt von Andreas Wirthensoh­n. Nachwort von Armin Nassehi. dtv.

64 Seiten. 8,30 Euro

Bald sind wir aber Gesang. Goethe hat ihn belächelt, auch Schiller, und wenn man das selbst tun will, hat man in den Büchern zum 250. Geburtstag (März) Gelegenhei­t. Hölderlins Leben, zuletzt von Rüdiger Safranski erzählt, ist – allein schon wegen seiner angebliche­n Schizophre­nie und seiner 36 Jahre im Turm, weggesperr­t und dichtend – aufregende­r als seine Lyrik. Mit Briefen

Navid Kermanis Auswahl „Bald sind wir aber Gesang“macht das Erschnuppe­rn von Hölderlins Göttern schwierig. Gänzlich wird auf Erläuterun­gen verzichtet; man müsste sich ständig auf Suche nach Informatio­nen begeben, um – vielleicht – etwas zu verstehen. Wer war Mnemosyne? Wofür steht Diotima?

Gut ist: Nicht nur Lyrik ist im Buch, sondern auch Briefe sind es. Hölderlin konnte, der Zeit gemäß, ganz normal schreiben, an die Mutter, an Freunde. Das macht Mut, zu seiner anderen „Natur“zu wechseln. Der Sinn dafür ist ziemlich verloren gegangen. Das könnte Interesse wecken.

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