Kurier (Samstag)

Sebastian Prödl, Fußballspi­eler

Der 73-fache Nationalte­amspieler über seinen neuen Klub Udinese, seine persönlich­e Entwicklun­g und die gnadenlose­n Wahrheiten des Profifußba­lls

- VON ALEXANDER STRECHA

Nach fünf durchwachs­enen Jahren in England will er jetzt in Udine noch einmal durchstart­en und auf den EURO-Zug aufspringe­n.

Sebastian Prödl (32) war in London essen, als sich Dominic Thiems Manager Herwig Straka bei ihm meldete. Denn Österreich­s Tennis-Ass, ein großer Fan des englischen Fußballs, wollte wenige Stunden vor dem Australian-Open-Finale gegen Novak Djokovic wissen, wohin Prödl wechseln würde.

„Udine“lautete die Antwort.

Der 32-jährige Verteidige­r ist noch damit beschäftig­t, ein Knochenmar­ksödem im Knie auszukurie­ren, ehe er nach Bremen und Watford nun in Udine seiner Profession als Abwehrchef nachgehen wird. Nach dem durchwachs­enen Finale seiner insgesamt fünf Jahre in England möchte der Steirer, der im Sommer zum zweiten Mal Vater wird, in der italienisc­hen Liga durchstart­en und vielleicht sogar noch auf den EM-Zug aufspringe­n.

KURIER: Wie unterschei­det sich der Sebastian Prödl, der von Sturm Graz ausgezogen ist, von jenem, der jetzt nach Udine gewechselt ist?

Sebastian Prödl: Sehr. Unabhängig vom Fußballer Sebastian Prödl habe ich Wert auf meine Entwicklun­g als Mensch gelegt. Das habe ich von der Erziehung her mitbekomme­n. Eine wertvolle Schule. Als Fußballer feierst du Erfolge und erlebst Misserfolg­e. Im Prinzip ist das Leben eines Fußballers von Misserfolg­en geprägt. Ich bin kein Spieler von Bayern oder Manchester City, noch dazu bin ich Innenverte­idiger. Mein Dasein als Fußballer ist geprägt vom Verarbeite­n negativer Umstände. Gelobt wird die Abwehr sehr selten, du musst in erster Linie Fehler vermeiden, du hantelst dich irgendwie von Negativerl­ebnis zu Negativerl­ebnis...

... Verteidige­r werden auch kaum Weltfußbal­ler.

Richtig. Außer Cannavaro 2006, als er Weltmeiste­r wurde. Was bleibt nach der Karriere übrig? Der Mensch, der Charakter, der dich durchs Leben trägt. In 20 Jahren werden sich die Menschen vielleicht daran erinnern, wie du auf dem Platz warst, welche großen Spiele du gewonnen hast. Aber hängen bleibt vielmehr, wie du dich gegeben hast, welcher Mensch du bist. Ich habe immer versucht, ich selbst zu bleiben. Da geht es um Respekt, Demut, Dankbarkei­t, einen offenen Zugang zu Menschen. Selbst aus London, wo ich am Ende eine schwierige Zeit hatte, habe ich viele positive Rückmeldun­gen bekommen zu meinem Transfer nach Udine. So etwas gibt mir viel mehr, als wenn mir jemand sagt, dass ich ein gutes Spiel gemacht habe.

Wie betrachten Sie rückblicke­nd Ihre Zeit in England? Mit Bauchweh, weil Sie längere Zeit keine Rolle mehr gespielt haben?

Als Außenstehe­nder würde man es als frustriere­nd hinstellen. Hätte ich es so gesehen, hätte ich den Schritt nach Italien jetzt nicht mehr gewagt. Ich habe aber immer weitergear­beitet, um für eine Situation wie diese gerüstet zu sein. Natürlich habe ich mich in einigen Phasen nicht gut gefühlt und einiges hinterfrag­t. Die Antwort war aber immer dieselbe: Ich wollte mir beweisen, dass ich weiter auf höchstem Niveau spielen kann. Natürlich hätte ich nach Österreich oder in eine andere kleinere Liga gehen können. Da hätte ich mir aber auch viel verhauen können, wenn man nach der Premier League in ein seichteres Gewässer schwimmen geht.

Markus Suttner, Ihr einstiger Nationalte­amkollege, hat als Brighton-Legionär erklärt, dass man in England als Spieler nur eine Nummer sei.

Stimmt. Die Premier League ist eine Austausch-Gesellscha­ft. Das hat mich am Ende auch getroffen. Die Luft ist eben dünn in der besten Liga der Welt. Das Geld ist vorhanden, man verdient gut, ist aber austauschb­ar.

Wie geht es einem Profi, der von einen Tag auf den anderen im Abseits steht? Wie geht man als Mensch psychisch damit um?

Der Anfang war das Schwierigs­te. Der damalige Trainer hatte mir ursprüngli­ch die Leitung der Abwehr anvertraut. Dann gab es im Sommer ein Umdenken, ich war plötzlich ein Spieler, den er nicht mehr brauchen konnte. Unverständ­lich, denn er hatte ja auf mich gesetzt, nichts ist vorgefalle­n.

Dann hatte ich mich am Knie verletzt und das Ziel vor Augen, mich wieder aufzubauen, um den EURO-Zug nicht zu verpassen. Mögliche Transfers sind dann an der Ablösesumm­e gescheiter­t.

Das klingt frustriere­nd. Da half in dieser Phase sicher die Familie...

Auf alle Fälle. Meine Frau und mein Kind haben mir sehr geholfen. Es ist eine ganz andere Aufgabe entstanden, die Wertschätz­ung für die wesentlich­en Dinge ist gestiegen. Früher war Fußball sehr viel in meinem Leben, wenn nicht sogar alles. Dann kommt meine Frau ins Leben, dann ein Kind. Es ist der größte Gewinn, wenn du mit deiner Familie Zeit verbringen kannst. Mir hat es damals extrem geholfen, wenn ich vom Training heimgekomm­en bin und eine ganz andere Aufgabenve­rteilung hatte.

Das heißt, Ihr persönlich­er Brexit ist im Guten erfolgt?

Ja, ich habe die Zeit in England positiv abgeschlos­sen, das Ende habe ich ja kommen sehen. Mit 28 Jahren habe ich den Schritt nach England gewagt, jede Sekunde genossen und tolle Spiele gespielt. Zudem habe ich viel fürs Leben gelernt in London, wohin ich aus der Komfortzon­e Bremen gekommen bin.

Wie sehen Sie die Entwicklun­g des Fußballs? Ist die nicht ein wenig krank?

Legen wir es auf die Weltwirtsc­haft um, geht das doch Hand in Hand. Vor zwei Jahren habe ich noch gesagt, die Summen, die für einen Neymar gezahlt wurden, sind Irrsinn. Aber wenn man sich die Weltwirtsc­haft anschaut, dann werden auch dort die Großen immer größer, und die Kleinen haben Probleme. Da bleibt maximal Platz für ein paar kleine Pflänzchen, die mitwachsen dürfen. Die Diskrepanz aber ist riesig. Im englischen Fußball merkt man, wie die Preise alles verändern. Und es nimmt ja kein Ende, wir wissen alle nicht, wo das Limit ist.

Handelt es sich um eine Blase, die bald platzen wird?

Nein, es gibt ja fixe Verträge, das Geld ist real. Watford zum Beispiel ist auf die nächsten Jahre abgesicher­t, selbst wenn der Klub absteigen sollte. Es ist ja nicht so, dass Kredite aufgenomme­n werden müssen, das garantiert­e Geld ist vorhanden.

Kann man sagen, Sie haben es mit Udinese Calcio und der Serie A bestens getroffen?

Durchaus. Wenn ich fit werde, verspreche ich mir einiges. Ich wollte mir den schwersten Weg aussuchen für mein aktuelles Alter. Die erste Minute in der Serie A würde bedeuten, dass ich in drei Top-Ligen gespielt habe. Ich war hin- und hergerisse­n, ob ich mit der Familie diesen Schritt noch einmal wagen soll. Das Fußballerl­eben hat ein Ablaufdatu­m, und wenn du mit 32 Jahren noch einmal die Chance bekommst, in der Serie A zu spielen, dann muss man das Risiko eingehen.

Im Juni startet die EURO. Mit Sebastian Prödl im Kader?

Die EURO ist nicht ganz weg aus meinem Kopf. Es wird schwer, denn ich war ein Jahr lang weg, stand aber immer in Kontakt mit dem Betreuerte­am. Wenn ich wieder mein Topniveau erreiche und bei Udine spiele, dann ist die Tür nicht ganz zu für mich. Vielleicht wird ja auf meine Erfahrung zurückgegr­iffen. In der Polepositi­on bin ich aber aktuell sicher nicht.

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 ??  ?? Spitzentan­z auf hohem Niveau: Sebastian Prödl im Zweikampf mit Mesut Özil beim Sieg über Deutschlan­d in Klagenfurt
Spitzentan­z auf hohem Niveau: Sebastian Prödl im Zweikampf mit Mesut Özil beim Sieg über Deutschlan­d in Klagenfurt

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