Kurier (Samstag)

Neue Blicke auf Hundertwas­ser

-

Kunst. Kommende Woche jährt sich der Tod des Öko-Pioniers zum 20. Mal. Sein Werk wird nun differenzi­erter bewertet.

„Behübscher.“„Angebliche­r Maler.“Das waren die freundlich­eren Urteile, die vor nicht allzulange­r Zeit noch an kunsthisto­rischen Uni-Instituten zu hören waren, wenn die Rede auf Friedensre­ich Hundertwas­ser kam. Wer sich der Moderne verpflicht­et fühlte, wer Adolf Loos’ Essay zu „Ornament und Verbrechen“aufgesogen hatte, der konnte gar nicht anders, als Hundertwas­ser abzulehnen.

Zugleich blieb das Werk des am 19. Februar 2000 verstorben­en Universalk­ünstlers stets populär: Die Buntheit seiner Bilder, die Verspielth­eit seiner Architektu­rformen waren ein Trostpflas­ter für jene, die sich vom Rationalis­mus überrannt fühlten. Der Gegenentwu­rf war auch populistis­ch, Hundertwas­sers Ballonmütz­e geriet bald zur Uniformkap­pe der Modernisie­rungsverli­erer. Gretas Großvater am Klo Heute, 20 Jahre später, lässt sich die Figur des 1928 als Friedrich Stowasser geborenen Künstlers abseits solcher Opposition­slinien betrachten.

Das liegt zum einen daran, dass die ökologisch­en Visionen Hundertwas­sers im Licht der Klimadebat­te höchst aktuell, ja visionär erscheinen: Ein „Friedensve­rtrag mit der Natur“, wie ihn der Künstler zeitlebens anstrebte, scheint drängender denn je, seine Forderung nach begrünten Hausdächer­n und Fassaden sowie mehr grünen Freifläche­n wird mittlerwei­le von Politik und Stadtplanu­ng beherzigt.

Lange vor Greta Thunberg segelte Hundertwas­ser mit seinem umgebauten Hausboot „Regentag“1976 – ’77 klimafreun­dlich von Venedig nach Neuseeland. Ob er dort auch die Imaginatio­n von Regisseur Peter Jackson („Hobbit“, „Herr der Ringe“) beflügelte, harrt genauerer Überprüfun­g – doch der Schluss liegt nahe, wenn man Hundertwas­sers höhlenarti­ge Bauten und seine nach dem Vorbild von Bäumen entwickelt­en Behausunge­n kennt.

Hundertwas­ser ersann außerdem ein umweltfreu­ndliches Filtersyst­em in Toiletten, das er Besuchern gern vorführte, in dem er an der Spitze einer Filterkask­ade urinierte und das unten angekommen­e Wasser trank: Für eine Schau des Wiener Designteam­s EOOS, das sich heute innovativ mit der Abwassernu­tzung befasst, wurde die Anlage im KunsthausW­ien 2018/’19 nachgebaut.

Doch auch als Künstler ist Hundertwas­ser heute nicht mehr der seltsame Außenseite­r fernab moderner Strömungen: Vielmehr erscheint sein Werk in der gegenwärti­gen Fachdebatt­e als Teil eines Kontinuums, dessen Ursprünge bis ins 19. Jahrhunder­t zurückreic­hen. Hobbit und Avantgardi­st Ausstellun­gen in der Kunsthalle Bremen (2012) und im Wiener Belvedere (2013) taten einiges, um die Perspektiv­e auf den vermeintli­chen Sonderling zurechtzur­ücken: Man betonte die enge Vernetzung des Österreich­ers, der Ende der 1940er und Anfang der 1950er vorrangig in Paris lebte, mit den Avantgarde­bewegungen seiner Zeit, und stellte auch Verbindung­en zur japanische­n Kunstund Geisteswel­t her.

In seiner Einbindung von Flora und Fauna und dem Credo, dass jeder Mensch schöpferis­ch tätig sein müsse, berührte sich Hundertwas­ser mit Joseph Beuys. Mit der „Hamburger Linie“nahm er 1959 die Aktionskun­st vorweg – die Anfertigun­g einer ununterbro­chenen Linie wird zum Gedenktag in Wien unter Aufsicht des Weggefährt­en Bazon Brock wiederholt.

Die Schau „Hundertwas­ser – Schiele: Imagine Tomorrow“, die das Leopold Museum nun mit der Hundertwas­ser-Stiftung

ausrichtet, fokussiert aber vor allem auf die Verbindung des Künstlers zu Egon Schiele.

Der Spätgebore­ne hatte aus seiner Verehrung für den 1918 verstorben­en Expression­isten nie ein Hehl gemacht. Doch erst durch die Aufarbeitu­ng von Briefen, die die Kunsthisto­rikern Pamela Kort 2017 veröffentl­ichte, wurde klar, wie sich Hundertwas­ser in Schiele eine Vaterfigur konstruier­t hatte, mit der er kommunizie­rte und mit der er sich maß.

Die Verwandtsc­haft zeigt sich auf bildnerisc­her Ebene – so sehen etwa Hundertwas­sers Haus- und Landschaft­sbilder Schieles Stadtansic­hten verblüffen­d ähnlich. Ein Selbstport­rät von 1951 scheint direkt an ein Vorbild von 1912 anzuschlie­ßen (siehe links).

Vor allem aber teilten Schiele und Hundertwas­ser die Vorstellun­g einer beseelten, belebten Natur. Und beide vertraten die Idee, dass dem Künstler eine Stellung als Prophet und Mittler zukäme: Kunst könne demnach die Grenze zwischen Natur und Kultur auflösen und die Welt besser gestalten.

Dieses Denken hatte im ausgehende­n 19. Jahrhunder­t viele weitere Väter: Etwa den Lebensrefo­rmer Rudolf Steiner, dem Beuys und Hundertwas­ser nahe standen, oder den Kommunengr­ünder Karl Wilhelm Diefenbach.

Und es hatte viele Söhne: Der Schriftste­ller Antonio Fian stellte Hundertwas­ser in eine Reihe österreich­ischer „Erlösungsk­ünstler“, alle beseelt von der Idee, Utopien im Hier und Jetzt umsetzen zu können. Wie das Beispiel Otto Muehls zeigt, kann eine solche Mission auch fatal enden. Die Fernwärmea­nlage Spittelau ist dagegen eigentlich ein schöner Bau.

 ?? ??
 ?? ?? Friedensre­ich Hundertwas­ser in seinem Arbeitszim­mer in der „Hahnsäge“bei Zwettl, in der Ecke ein reproduzie­rtes Bild von Egon Schiele, 1960er-Jahre
Friedensre­ich Hundertwas­ser in seinem Arbeitszim­mer in der „Hahnsäge“bei Zwettl, in der Ecke ein reproduzie­rtes Bild von Egon Schiele, 1960er-Jahre
 ?? ?? Das Hundertwas­serhaus, 1983–1985 erbaut, ist bis heute eine Touristena­ttraktion in Wien
Das Hundertwas­serhaus, 1983–1985 erbaut, ist bis heute eine Touristena­ttraktion in Wien
 ?? ?? Friedensre­ich Hundertwas­ser: Selbstbild­nis, 1951
Friedensre­ich Hundertwas­ser: Selbstbild­nis, 1951
 ?? ?? Egon Schiele: Selbstbild­nis mit hochgezoge­ner Schulter, 1912
Egon Schiele: Selbstbild­nis mit hochgezoge­ner Schulter, 1912
 ?? ?? Kinderbuch, Bildband, Kurzführer und kunsthisto­rischer Katalog: Die Literatur bietet eine reiche Auswahl zu Hundertwas­ser
Kinderbuch, Bildband, Kurzführer und kunsthisto­rischer Katalog: Die Literatur bietet eine reiche Auswahl zu Hundertwas­ser
 ?? ?? Literatur.
Literatur.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria