Kurier (Samstag)

Ohne Asylantrag zurück – ein Präzedenzf­all?

Spanien darf einem Urteil zufolge illegale Migranten aus seinen Exklaven abweisen – und muss ihnen zuvor nicht einmal einen Asylantrag ermögliche­n. Was das für die anderen EU-Grenzen bedeuten kann

- VON K. KRAUSE-SANDNER UND AUS MADRID R. LINDORFER

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Beletti Njame ist selber schuld. Er hat die spanische Exklave Melilla auf illegalem Weg erreicht, als er 2014 über den sechs Meter hohen Zaun zwischen Marokko und dem spanischen Territoriu­m geklettert ist. Die Polizei hat ihn aufgegriff­en und den marokkanis­chen Behörden übergeben. Einen Antrag auf Asyl konnte er nicht stellen.

Nach einer Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte war das rechtens. Dabei müsste jeder Mensch das Recht haben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. In diesem Fall aber – so das Urteil von Donnerstag – hätte Njame die Möglichkei­t auf eine legale Einreise und die Aufnahme seiner Personalie­n gehabt – und sie nicht wahrgenomm­en.

große Fragezeich­en nach dem überrasche­nden letztinsta­nzlichen Urteil des Menschenre­chtsgerich­tshofes ist, ob sich die Entscheidu­ng nun auch auf andere EUAußengre­nzen umlegen lässt. Nicht nur in Melilla Immer wieder stehen etwa Kroatien, Griechenla­nd oder Ungarn in der Kritik, weil deren Sicherheit­skräfte angeblich Migranten, die es illegal über die Grenze geschafft haben, ohne Asylantrag zurückbrin­gen.

Als das Urteil am Donnerstag­abend ausgesproc­hen wurde, war Österreich­s Europamini­sterin Karoline Edtstadler im Zuge ihrer EU-Tour in Sachen Budget in Madrid. Die frühere Richterin ist nicht überrascht – die Menschenre­chtskonven­tion räume den Staaten mehr Handlungss­pielraum ein als ihr zugeschrie­ben wird, sagt sie. Das Urteil könnte nun „größeren Einfluss“auf die europäisch­e Migrations­politik haben – zumindest starte jetzt eine Debatte. „Momentan haben wir die Problemati­k, dass jeder, der den Fuß auf europäisch­en Boden gesetzt hatte, um Asyl ansuchen konnte.“Die Juristin will das Urteil aber nicht abschließe­nd bewerten. Man müsse sich es sich im Detail anschauen und klären, ob es auch auf die zahlreiche­n Fluchtwege übers Mittelmeer angewendet werden kann. „Aber grundsätzl­ich scheint es unserem Ziel, der illegalen Migration und dem Schlepperg­eschäft ein Ende zu setzen, entgegenzu­kommen“, erklärt sie.

Auf der Suche nach einer gemeinsame­n europäisch­en Asyllösung dürfe man vor allem Mittelmeer­länder wie Spanien, die unter einem besonders hohen Migrations­druck stehen, nicht alleine lassen, sagte Edtstadler in Madrid. Das Verteilung­ssystem allerdings sieht sie als gescheiter­t an.

Das Urteil des Menschenre­chtsgerich­tshofes, das besagt, dass man zurückgewi­esen werden kann, wenn man illegal die Grenze überschrit­ten hat, habe einen schweren Mangel, so Experten. „Wenn man illegal nicht herein darf, dann müsste Europa das mit legalen Möglichkei­ten kompensier­en“, sagt Migrations­expertin

Melita Sunjic zum KURIER. Diese seien aber verschwind­end gering: Ein Antrag auf Asyl in Botschafte­n oder Konsulaten ist nicht möglich, es gebe zu wenig Resettleme­nt-Programme, die EU könne sich nicht über die Verteilung von Flüchtling­en einigen, und Familienzu­sammenführ­ungen beruhen oft auf der Tatsache, dass es ein Verwandter (auf illegalem Weg) nach Europa geschafft hat. Marokko restriktiv

An den spanischen Exklaven in Marokko gibt es seit einigen Jahren Asylbüros. Sie befinden sich im „Niemandsla­nd“zwischen dem marokkanis­chen und dem spanischen Grenzüberg­ang. „Aber auf legalem Weg kommt man gar nicht bis zum spanischen Grenzposte­n vor“, sagte Beletti Njame gegenüber dem Deutschlan­dfunk. „Die marokDas kanische Polizei lässt dich nicht durch.“Der einzige Weg für Flüchtling­e, nach Spanien zu kommen, um dort Asyl zu beantragen, ist, über die Grenzzäune zu klettern.

Auch wenn sich Rechtsexpe­rten darüber uneins sind: Während manche Politiker hoffen, dass das Urteil einen Präzedenzf­all setzt, befürchten Menschenre­chtsaktivi­sten selbiges. „Ich hoffe nicht!“, sagt Judith Sunderland, Migrations­expertin bei der NGO Human Rights Watch. Das Urteil, das sie als „schrecklic­h“bezeichnet, gehe an der Realität vorbei: Es sei bekannt, dass die marokkanis­che Grenzpoliz­ei die Migranten nicht passieren lasse. Spanien überlasse einen Teil seines Grenzschut­zes Marokko – und zahlt dafür.

Der KURIER war auf Einladung des Bundeskanz­leramts bei der Reise.

„Auf legalem Weg kommt man gar nicht bis zum spanischen Grenzposte­n vor“

Beletti Njame Kläger „Wir haben das Ziel, illegale Migration zu beenden. Das Urteil könnte diese Zielsetzun­g unterstütz­en“

Karoline Edtstadler Europamini­sterin

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Der Grenzzaun von Melilla: Wer ihn überwindet, muss zurück nach Marokko

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