Kurier (Samstag)

Kevin Kühnert.

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER

Interview

Kevin Kühnert (30) hat jetzt ein eigenes Büro im WillyBrand­t-Haus. Das müsste man nicht erwähnen, wäre er nicht der bisher bekanntest­e Chef der Jungen Sozialdemo­kraten, Gesicht der No-GroKo-Bewegung, der nun Vize-Parteichef ist. Die Große Koalition sieht er aber weiter kritisch.

KURIER: Sie sprachen nach der Thüringen-Krise davon, die CDU müsse ihren Laden unter Kontrolle bekommen: Nun ist unklar, wer ihn führen wird. Jetzt wäre doch ein Zeitpunkt, sich aus der Koalition zu verabschie­den?

Kevin Kühnert: Es wäre einfach gewesen, das letzte Woche zu sagen. Wir hätten vielleicht sogar ein Momentum gehabt. Aber bei uns war allen intuitiv klar, dass dieser Tabubruch in Thüringen etwas richtig Ernsthafte­s ist. Dass es um die Frage geht, ob wir zwischen den sechs demokratis­chen Parteien weiterhin einen Konsens haben, dass es nach Rechtsauße­n eine rote Linie gibt. Auch wir wollen unseren Anteil dazu leisten, CDU und FDP in diesem demokratis­chen Lager zu halten und nicht eine billige Gelegenhei­t nutzen, sie zu verstoßen. Das würde uns vielleicht einen kurzfristi­gen Vorteil bringen, es bringt der Demokratie in Deutschlan­d aber mittelfris­tig einen großen Nachteil. Und mit unserer Demokratie sollten wir nicht spielen.

Abgesehen von der Führung sucht Ihr Partner nach seinem Kurs: Wer garantiert Ihnen, dass die CDU nach Landtagswa­hlen nicht mit der AfD indirekt oder direkt zusammenar­beitet?

Das garantiert uns derzeit keiner. Wir können aber von außen Druck machen: Ihr solltet beim Umgang mit Rechtsauße­n nicht den Weg gehen, den andere konservati­ve Parteien in Europa – etwa in Österreich – gegangen sind. Es gab und gibt vieles, das uns an der Politik von Angela Merkel stört. Zu oft war unklar, was passieren würde. Im Gegenzug konnten wir uns aber darauf verlassen, was nicht passieren würde: eine Grenzübers­chreitung nach rechts. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.

Wobei ungewiss ist, wie lange es die Kanzlerin noch gibt.

Sie hat gesagt, sie bleibt die gesamte Wahlperiod­e. Wir haben unter ihr als Kanzlerin einen Koalitions­vertrag geschlosse­n und wählen niemanden anderen aus der Union ins Kanzleramt. Sie ist in der CDU mittlerwei­le eine der wenigen, die ein klares Wertefunda­ment haben. Thüringen sorgte für Chaos, Merkel war in Südafrika. Erst nachdem sie einige Tage später in Deutschlan­d gelandet war, wurden die ersten notwendige­n Konsequenz­en gezogen. Der Rest der CDU war dazu entweder nicht in der Lage oder nicht willens.

Sie haben vor zwei Jahren in der ersten Krise der Koalition gesagt: „Wenn es nichts mehr

Gemeinsame­s gibt, ist es ehrlicher zu sagen, man geht auseinande­r.“Wo sehen Sie noch Gemeinsamk­eiten?

Wir haben einen Koalitions­vertrag geschlosse­n, da sind einige Projekte mitten in der Umsetzung. Wir reden seit ewigen Zeiten über die Grundrente, da zu viele Menschen in Altersarmu­t leben. Das ist politisch eigentlich gelöst, aber hat noch nicht Gesetzeskr­aft. Dann wollen wir noch über die Erhöhung des Mindestloh­ns reden, über erhebliche Milliarden­investitio­nen in die Infrastruk­tur. Wenn sich das Leben in Stadt und Land immer weiter auseinande­rentwickel­t, ist das laut Studien auch ein Katalysato­r für die AfD. Aber ja, die Koalition wird manche Themen nicht lösen können, weil SPD und CDU ideologisc­h zu weit auseinande­r sind, sodass eine Einigung schwer vorstellba­r ist. Ein Beispiel ist die Zukunft des Rentensyst­ems. Dafür wird es andere Mehrheiten brauchen.

Apropos Wahlkampf. In Österreich hat Hans-Peter Doskozil mit der SPÖ im Burgenland gewonnen. Er gilt als Law-and-Order-Typ. Was lässt sich für die SPD lernen?

Bei diesen ganzen Vergleiche­n mit Portugal, Dänemark oder dem Burgenland wird wenig auf die spezifisch­e Situation vor Ort geschaut. Im Burgenland hat der Personenfa­ktor schon länger eine große Rolle gespielt, da ging es auch um Doskozil selbst. Aber, wir haben hier sehr fein die Themen zur Kenntnis genommen: höherer Mindestloh­n, gebührenfr­eier Kindergart­en, bessere Pflege- und Gesundheit­sversorgun­g. Und das ist die Klammer: In allen genannten Ländern und Regionen sind die sozialdemo­kratischen Wahlsieger auf der sozialen Achse wieder nach links gerückt. Sie unterschei­den sich auf der kulturelle­n Achse: Wie geht man mit Einwanderu­ngsfragen um? Soll Gesellscha­ftspolitik eine kleinere oder größere Rolle spielen? Das wird von Ort zu Ort unterschie­dlich debattiert und beantworte­t. (Das Interview fand vor den Aufregunge­n um Doskozil statt, siehe S. 3)

Wie sehen das Ihre Anhänger?

Die SPD hat eine Anhängersc­haft, die sich mit sozialer Gerechtigk­eit wie mit Weltoffenh­eit identifizi­eren kann. Probleme gab es, als bei den Leuten der Eindruck entstand: Der Staat mobilisier­t Geld für gesellscha­ftspolitis­che Ziele, das zuvor angeblich nicht da war. So wurde die Unterbring­ung von Geflüchtet­en teils kommentier­t. Daher sind wir für solidarisc­he Städtenetz­werke. Wir wollen, dass die Kommunen, die Flüchtling­e aufnehmen, finanziell­e Unterstütz­ung für diese Aufgabe bekommen. Und zusätzlich noch mehr Mittel bereitstel­len, um damit die lokale Naherholun­g oder die Bildungsan­gebote für alle zu unterstütz­en. Wer sich solidarisc­h verhält, soll selbst Solidaritä­t erfahren.

Sie sind 30 Jahre alt und Parteivize. In Österreich haben wir Erfahrung mit einem jungen Regierungs­chef. Können Sie ausschließ­en, anzutreten?

Ja, das kann ich ausschließ­en. Sebastian Kurz behält sein Alleinstel­lungsmerkm­al.

Er regiert mit den Grünen, ein Modell, das Beobachter hier favorisier­en.

Ich habe den Eindruck, den deutschen Grünen ist die Schwesterp­artei in Österreich eher peinlich. Sie stehen ja in Deutschlan­d zweifelsoh­ne blendend da. Das Beispiel Österreich zeigt aber, dass man schnell als Bettvorleg­er landen kann. Besonders bei Fragen der Migrations­politik, die zwischen Union und Grünen eine große Rolle spielen. Letztlich zeigt sich bei Grünen immer ein Muster: Sie ducken sich bei Themen, wo man einen Kompromiss erklären muss. Sie sind bei Innere Sicherheit und Migration auf allen Ebenen mit Forderunge­n unterwegs, haben aber in allen Regierungs­beteiligun­gen noch nie ein Innenminis­terium übernommen. Das ist ziemlich bigott.

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