Der Hang zu Extremen
Bevor die Fastenzeit beginnt, wird es noch einmal richtig wild: Zum Karneval fahren in Rio die farbenfrohen Paraden auf, es wird getanzt, gestaunt, gefeiert. Spektakuläre Kostüme soweit das Auge reicht, während in Venedig die Eleganz zelebriert wird (ab Seite 8). Die närrische Zeit hat Tradition: Vorläufer des Karnevals fanden schon im Altertum statt, das Wort „Fasching“taucht im Hochdeutschen ab dem 13. Jahrhundert auf und erklärt sich als „Fastenschank“– übersetzt bedeutet das die letzte Ausschank alkoholischer Getränke vor der damals sehr strengen Fastenzeit. Lassen wir es also noch einmal richtig krachen, bevor die einen oder anderen sich bis Ostern in Zurückhaltung üben – beim Essen, im Konsum oder neuerdings beim Dopamin. Es klingt absurd, ist im Silicon Valley aber richtig schick: der Verzicht auf Reize wie Streams oder Likes.
So soll das Gehirn entrümpelt und der Verstand fokussiert werden. Die Tech-Branche entsagt damit genau dem, was exakt sie erschaffen hat. Auf Werkseinstellungen zurückgesetzt werden, geht das? Und: Wollen wir das überhaupt? Natürlich könnten wir alle weniger am Smartphone kleben, aber den körpereigenen Botenstoff bewusst dämpfen zu wollen, geht doch etwas weit. Die Hardcore-Vertreter reduzieren sogar Gespräche, Körper- und Augenkontakt. Und selbst im Liebesleben ist das Dopamin-Fasten angekommen (S. 40). Mittelweg scheint es keinen zu geben. Dann doch lieber sündigen und diesen Trend als solchen stehenlassen, der er ist: pure Übertreibung. In diesem Sinne: Feiern Sie schön im Fasching, lassen Sie es sich gut gehen!