Flucht nach vorne SPÖ-URABSTIMMUNG
Pamela Rendi-Wagner überrascht ihre einfachen Parteimitglieder mit der Vertrauensfrage. Für Insider ist das der Versuch, vor der Wien-Wahl einer Führungsdebatte zu entgehen
Der Zeitpunkt mag etwas überraschen, ist aber strategisch klug gewählt: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner will das rote Katastrophenjahr 2019 und die Debatte über ihre Führungsqualitäten endgültig hinter sich lassen – und stellt die Vertrauensfrage.
Der historische Absturz bei der Nationalratswahl und die existenzbedrohende Finanzlage der Partei werden mit einer Mitgliederbefragung im März und April überdeckt.
Rendi-Wagner schreibt per Mail an Genossen und Genossinnen: „Ich bitte dich, mir zu sagen, ob ich Bundesparteivorsitzende bleiben soll, um für unsere wichtigen Themen gemeinsam mit allen in der Partei zu kämpfen.“Und weiter: „Warum stelle ich dir diese Frage? Weil für mich einzig und allein dein Vertrauen und deine Unterstützung zählen.“
Hier verbirgt sich das wirklich Neue an ihrem Schritt: Erstmalig in der SPÖ-Parteigeschichte werden die Menschen an der Basis befragt, was sie von der Parteivorsitzenden halten – nicht die Funktionäre im Parteivorstand.
Mitgliederbefragungen gab es immer wieder, zuletzt 2018 mit einer Rücklaufquote von 20 Prozent. Dieses Mal dürfte das Interesse deutlich größer sein, fragt doch Rendi-Wagner die rund 160.000 Mitglieder der Partei, ob sie noch die Richtige an der Spitze der Bewegung sei. Das mobilisiert.
Und das in einer Zeit der relativen Ruhe und Stärke: Die Absolute für Hans Peter Doskozil bei der Burgenlandwahl hat die SPÖ insgesamt stabilisiert, in neuesten Umfragen zeigen die Zustimmungswerte leicht nach oben. Und die letzte offen ausgetragene Personaldebatte über Rendi-Wagner ist schon eine Zeit lang her.
Im ORF-Interview in der „ZiB2“rügte die Chefin ihre eigene Partei am Freitagabend dennoch: Seit Monaten stünden „Selbstzerfleischung, Intrigen und Gerüchte“im Mittelpunkt. Das müsse ein Ende haben. Die Mitgliederbefragung sei „etwas, das ich brauche“, so Rendi-Wagner.
Polit-Berater Thomas Hofer sagt: „Rendi-Wagner und die SPÖ stellen die Vertrauensfrage jetzt, weil sie möglichst ohne Turbulenzen in die wichtige Wien-Wahl im Herbst ziehen wollen, damit ja nicht zum falschen Zeitpunkt eine neue Personaldebatte auf kommt.“
Die Befragung verschaffe Rendi-Wagner und dem roten Wiener Bürgermeister also vor allem eine „Verschnaufpause“. Hofer: „Es kann gut sein, dass nach der Wahl die Personalfrage erneut aufkommt. Annegret
Kramp-Karrenbauer hat in Deutschland vor ein paar Monaten auch Standing Ovations bekommen. Jetzt ist sie weg.“
Das Risiko für Rendi-Wagner, keinen starken Zuspruch von der Basis zu erhalten, hält sich in Grenzen. „Win-win“-Fragen
Das sieht auch Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer so. Vor allem die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit klassisch sozialdemokratischen inhaltlichen Fragen – etwa nach dem Mindestlohn von steuerfreien 1.700 Euro oder der abschlagsfreien Pension nach 45 Arbeitsjahren – sei geschickt gewählt. Bachmayer: „Weil beides zugleich abgefragt wird, strahlt das positiv auch auf das Ergebnis für Rendi-Wagner zurück.“
Die Abstimmung sei aber auch eine Art „Gratwanderung“für die SPÖ-Chefin, sagt Bachmayer. Denn: „Endlich hat sich die Lage etwas beruhigt, und genau jetzt heizt man die Personaldebatte möglicherweise neu an.“Obwohl alle Landesgruppen für sie laufen werden und bei Mitgliederbefragungen meist ohnehin nur die Fans zurückschreiben, sei nicht ganz ausgeschlossen, dass „die Befragung für Rendi-Wagner nach hinten losgeht.“
Der Fragebogen kann zwischen 4. März und 2. April per Brief oder Mail beantwortet werden. Anonymität sei garantiert. Rendi-Wagner will sich kein Ergebnis als Ziel vorgeben. „In der Demokratie gelten Mehrheiten. Je höher, umso besser für mich.“
Im roten Parteivorstand gab es am Freitag dem Vernehmen nach nur eine sehr knappe Mehrheit für den Fragebogen: 12 SPÖ-Granden stimmten dafür, 10 dagegen.
In den sozialen Netzen hielten sich Zustimmung und Spott die Waage. Fans stellten sich zu „hundert Prozent“hinter ihre SPÖ-Chefin. Andere fragten hämisch: „Wer sind die Gegenkandidaten?“Einig sind sich Beobachter darin: Sollte RendiWagner sehr schwach abschneiden, hätte sie zumindest eine gesichtswahrende ExitStrategie gewählt.