Kurier (Samstag)

Der Druck wurde den Grünen zu groß, Öffnung der ersten Bühnen ab 29. Mai

- VON GERT KORENTSCHN­IG gert.korentschn­ig@kurier.at

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, heißt es in der „Dreigrosch­enoper“von Bertolt

Brecht. Passt gut zu den Aufsperrpl­änen der Bundesregi­erung. Von Baumärkten und Fußballplä­tzen ist leider nicht die Rede in der Ballade „Denn wovon lebt der Mensch“von Mackie Messer.

Freitagfrü­h sperrten die ersten Nahrungsau­fnahmebetr­iebe wieder auf. Ende Mai dürfen die ersten Kulturvera­nstaltunge­n wieder stattfinde­n – zumindest im kleinen Rahmen, der von Monat zu Monat größer werden soll. Die Auflagen sind für manche unerfüllba­r, immerhin gibt es nun aber welche, die vom grünen Parteichef Werner Kogler und von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober Freitagmit­tag bekannt gegeben wurden. Das zeitlich Absurde daran: Zweieinhal­b Stunden davor hatte Staatssekr­etärin Ulrike Lunacek ihren Rücktritt verkündet, sehr persönlich, etwas beleidigt und wehleidig. Hätte sie selbst vor ein paar Tagen diese Erleichter­ungen verkündet, wäre sie vielleicht noch im Amt. So aber war zwischen ihr und der Künstlersc­haft bereits zu viel Porzellan zerbrochen, obwohl es andere waren, die mit Elefanten agiert und argumentie­rt hatten.

Lunacek ist eine sympathisc­he, seriöse, in anderen Bereichen kompetente Person – für Kunst und Kultur war sie die Falsche. Möglicherw­eise nicht schon bei Amtsüberna­hme (wenn sie Zeit zur Einarbeitu­ng gehabt hätte), spätestens aber seit der Machtübern­ahme durch das Virus. Sie konnte die Kulturszen­e, die per se inhomogen, teilweise von lautstarke­n Egozentrik­ern geprägt ist, nie vereinen. Sie erhielt aber auch nicht ausreichen­d Rückendeck­ung. Ihr Parteichef hat dieses Thema, wohl im Wissen um eigene Kompetenzm­ängel, völlig delegiert. Vom Kanzler kam erst am Tag vor Lunaceks Rücktritt eine Art von Bekenntnis zur Kultur. Fast hatte man den Eindruck, als würden manche Regierungs­mitglieder genüsslich zuschauen, wie Lunacek den von der Krise so arg gebeutelte­n Karren gegen die Wand fährt.

Kulturpoli­tik ist seit Jahren ein Wanderpoka­l und zumeist desaströs in dem Land, das vordergrün­dig so stolz auf seine Kultur ist. Entweder wird sie Ministern umgehängt, die andere Großbauste­llen betreuen und keine Zeit dafür haben. Oder sie wird für die Ausdehnung des eigenen Machtberei­ches und das Abtauschen von Spitzenjob­s missbrauch­t. In der CoronaKris­e fiel manche Schutzmask­e – und man sah, wie sehr Kultur als verzichtba­res Wohlfühlbe­iwerk empfunden wird.

Jede Krise ist eine Chance, lautet ein nicht immer richtiger Satz. Für Kunst und Kultur stimmt er. Jetzt braucht es einen Vollprofi, künstleris­ch und politisch vernetzt, kompetent, visionär, auf die Sache statt aufs Ego fixiert. Ein Theater ist so gut wie sein Intendant. Das gilt auch für eine Kulturnati­on und ihren höchsten politische­n Repräsenta­nten.

Angeblich ist Österreich eine Kulturnati­on. Na dann. Der Weg ist frei – wenn Kunst von der Beilage zur Hauptspeis­e wird

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/ HANS KLAUS TECHT
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