Kurier (Samstag)

Wenig Andrang in der Gastronomi­e

Am ersten Tag gab es in vielen Lokalen noch leere Tische. Die Freude über das Comeback war bei Wirten und Gästen dennoch groß

- Reportage ES BERICHTEN K. AUER, T. BITTERMANN, B. ICHNER, M. JÄGER, K. KADA, B. MADER, S. RACHBAUER

Aufgesperr­t. Endlich konnten Kaffeehäus­er und Restaurant­s wieder besucht werden. Den erwarteten Ansturm gab es nicht.

Der Wurstelpla­tz vor dem Schweizerh­aus im Wiener Prater gleicht einer Hochsicher­heitszone. Wo Fans des frisch gezapften Budweisers und der knusprigen Stelze sonst offene Pforten vorfinden, stehen am Freitagvor­mittag Security-Mitarbeite­r. Ohne Reservieru­ng ist hier Endstation.

Der Begeisteru­ng der vielen Stammgäste tut das kaum Abbruch. Nicht einmal der strömende Regen kann ihnen die Vorfreude aufs erste Krügerl der Saison verwässern. Disziplini­ert warten sie mit Mund-Nasen-Maske vor dem Eingang, bis das Personal den Weg zum Tisch weist.

Dass es anders als bei üblichen Saisonstar­ts keine Livebands gibt, wird schulterzu­ckend zur Kenntnis genommen. Hauptsache, das Schweizerh­aus ist wieder offen.

Und mit ihm rund 60.000 andere Lokale in ganz Österreich. Nach zwei Monaten hat gestern, Freitag, die angeordnet­e Corona-Sperre der Gastronomi­e geendet. Die meisten Wirte nutzen trotz vieler Unsicherhe­iten die erste Gelegenhei­t, um aufzusperr­en.

Gewohnt gemütlich

Nicht mit Andrang, sondern gewohnt gemütlich begann der Tag in den Kaffeehäus­ern. Im Wiener Traditions­café Landtmann sind um 8.45 Uhr sowohl im Wintergart­en als auch im holzgetäfe­lten Gastraum im hinteren Bereich viele Plätze frei. Die Kellner servieren mit Maske vor allem die Frühstücks­klassiker – Schnittlau­chbrot, Briochekip­ferl, Eier.

Auf einem Fensterpla­tz mit Blick auf den Ring steht jedoch ein Schinken-KäseToast. Mit Ketchup. Bestellt hat ihn Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ). Dazu trinkt er einen Espresso. „Normalerwe­ise esse ich ein Gulasch zum Frühstück, aber das hatte ich gestern Abend schon“, scherzt er. Viel Zeit, um den ersten Kaffeehaus­Besuch seit Langem zu genießen, hat Ludwig aber nicht: „Sechs Minuten noch, Herr Bürgermeis­ter“, mahnt ein Mitarbeite­r zu Eile.

Etwas entspannte­r sind knapp zwei Kilometer weiter in der Postgasse die Stammgäste, die hier in ihr zweites Wohnzimmer zurückgefu­nden haben: ins Café Engländer. „Ich will hier rein“, hat einer von ihren noch vor Kurzem auf einen Zettel geschriebe­n und an die Eingangstü­r gehängt. Was hier auffällt, ist die Absenz der Zeitungen.

Denn die müssten ja, wie alles, was die Kunden in die Hand nehmen, sofort desinfizie­rt werden. Nicht sehr praktikabe­l. Ein Café ohne Zeitungen aber auch nicht.

Die Gäste des Café Kanzlei in Mödling haben daher kurzerhand selbst Zeitungen mitgebrach­t. Oder sie machen es wie Maria, Gerti und Anna – die drei unterhalte­n sich lieber. Seit 20 Jahren trinken die Frauen hier freitags Kaffee. „Ich freue mich schon sehr lange auf diesen Tag“, sagt eine. Neu ist das Arrangemen­t: Statt Blumen stehen jetzt Plexiglass­cheiben zwischen den Tischen. So musste

der Inhaber nur wegnehmen.

Für andere Gastronome­n zahlt sich das Aufsperren wegen der Platzbesch­ränkungen nicht aus. Rund zehn Prozent, so die Schätzunge­n, halten vorerst geschlosse­n.

Andere stiegen am Freitag überhaupt ganz neu ins Geschäft ein: Im Wiener Haus des Meeres eröffnete zum Beispiel das Ocean Sky – ein Restaurant samt Bar im 11. Stock des Flakturms. Kurz vor Mittag befinden sich mehr Kellner als Gäste im Lokal. Die 360-Grad-PanoramaTe­rrasse ist leer – wohl auch wegen des Wetters.

Dennoch ist Geschäftsf­ührer Hans Köppen zufrieden: „Obwohl wir keine Stammkunde­n haben, sind Reservieru­ngen eingegange­n. Vor allem für den Abend.“Auf der Karte stehen Pulled-Beef-Burger, French Toast und Salate – Fischgeric­hte sucht man (fast) vergeblich: Abends wird confierter Wiener Wels serviert.

Anders in der Lugner City. Dort gibt es Lachs, Thunfisch und Butterfisc­h am Fließband. Ja, auch Running Sushi vier

Tische ist wieder erlaubt. Bei Okiru sind zu Mittag aber nur einzelne Tische besetzt, nur eine von drei Bahnen läuft. Viele hätten wohl Angst, mutmaßt Chef Chen Yipin. Dabei sei das Lokal „absolut sauber“. Nach jedem Kunden wird desinfizie­rt, die Speisekart­e erhält man aufs Handy.

Gemma wieder Lugner

Nur einzelne Fans des asiatische­n Fast Foods haben reserviert, sie werden empfangen und zum Tisch gebracht. „Endlich kommt das asiatische Essen nicht mehr aus dem Karton“, sagt einer von ihnen. Yipin hofft, dass, sobald die Gastro-Gutscheine der Stadt verschickt wurden, wieder mehr los ist.

Ein kleiner Lichtblick ist da, dass Richard Lugner selbst zum Mittagesse­n vorbeikomm­t. Er freut sich, dass die Gastro wieder offen hat: „Die Lugner City lebt davon“, meint er. Auch wenn es am Anfang schleppend gehen werde, weil sich erst herumsprec­hen müsse, dass wieder geöffnet ist. Mit dem Slogan „Gemma wieder Lugner“bewirbt er derzeit sein Shoppingce­nter. Maske und ein Paar Flip Flops (warum auch immer) gibt es bei ihm um einen Euro.

Ausg’steckt is

Eines zeigte sich jedenfalls nicht nur in der Lugner City, sondern quer durch alle Betriebe:

„Es ist herrlich. Das habe ich vermisst“, sagt Brigitte Zwölfer Cappuccino trinkend im Zwettler Lokal Leutold

Frühstück in der Amstettner Patisserie Naderer: Über ein ausgebucht­es Lokal freut sich der Chef

Probleme mit dem Abstand gab es am ersten Tag nicht. Auch nicht bei den Heurigenwi­rten in der Wachau. Eigentlich sollte das Geschäft ja spätestens seit Ostern laufen – doch wochenlang herrschte in der Ausflugsre­gion trotz perfekten Wetters absolute Flaute.

Recht viel besser läuft es auch am ersten Tag nicht, als sich um 15 Uhr beim Ferdl Denk in Weißenkirc­hen in Türen zum Heurigenlo­kal öffnen. Vier Gäste sind für eine kleine Familienfe­ier angesagt. Nicht viel im Vergleich zum Normalgesc­häft. Das Lokal ist nicht nur herausgepu­tzt. Um den Abstand von einem Meter einzuhalte­n, sind einige Tische in Lokal und Gastgarten verschwund­en. Schon beim Eingang gibt es neben Hinweistaf­eln die obligatori­schen Desinfekti­onsspender. Das Personal trägt keine Masken, aber Schutzschi­lde. „Wir wollen ja, dass unsere Gäste das Lächeln der Kellner sehen“, sagt Juniorchef Andreas.

Ein Lächeln, das sieht man an diesem Tag übrigens allerorts. So auch bei Wolfgang Kaltenbrun­ner, Ernst Kernreiter und Rudolf Kutlach, die – zurück im Schweizerh­aus – zum Premierenp­ublikum gehören.

Die drei kommen traditione­ll zu jeder Saisoneröf­fnung hierher. Mit ihrem ersten Krügerl am Freitagvor­mittag wollen sie aber auch „ein Zeichen setzen“. Und zwar gegen die ihrer Meinung nach „überzogene­n Corona-Maßnahmen“. Zudem gelte es, die Gastronomi­e zu stärken.

Darum ziehen die drei Männer nach dem Schweizerh­aus auch weiter zum nächsten Wirten.

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8.45 Uhr: Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig bekommt im Landtmann Toast mit Ketchup serviert
 ??  ?? Freitag, Punkt 15 Uhr, wurde die Saison beim Heurigen Denk in Weißenkirc­hen in der Wachau eröffnet
Freitag, Punkt 15 Uhr, wurde die Saison beim Heurigen Denk in Weißenkirc­hen in der Wachau eröffnet
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St. Pölten wird wieder Bier gezapft, Essen wird weiterhin auch geliefert
Im Roten Hahn in St. Pölten wird wieder Bier gezapft, Essen wird weiterhin auch geliefert
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