Kurier (Samstag)

Die Kugel rollt – wieder!

In Deutschlan­d wird am Samstag die Bundesliga fortgesetz­t. Der Wiederanpf­iff ist eine Gratwander­ung zwischen lauernden Gefahren und Balsam für die Seele des Volkes

- VON BERNHARD HANISCH UND ANDREAS HEIDENREIC­H

„Endlich“, sagen jene Klubchefs, die sich darauf freuen, das drohende wirtschaft­liche Debakel mit einem rettenden Haken zu umdribbeln. „Zeit wird’s“, atmen sie auf, die von der zwangsweis­en Corona-Isolation in die Sinnlosigk­eit des Wochenende­s geballerte­n Fans. Ja, sie sperrt wieder auf. Deutschlan­ds Bundesliga wagt den ersten Schritt, sie gefällt sich als Vorreiter im internatio­nalen Spitzenfuß­ball. Deutschlan­ds Liebkind ist zurück, der Traum von Normalität, in dem eigentlich alles anders ist.

Denn Fußball wird wieder geboten, im geisterhaf­ten Testspielm­odus, im Stadion mit leeren Tribünen. Angesagt ist die vor Hygiene strotzende, auf 51 Seiten vorgeschri­ebene Stimmungsl­osigkeit, gespalten ist das Land. Voll sind die Kühlschrän­ke der Befürworte­r, niedrig ist die Motivation vieler Fans, die den Fußball ohne Zuschauer nicht leiden können. Eine knappe Mehrheit der Befragten bestätigte dies.

Pappfigure­n-Publikum

Abgelehnt wird die Atmosphäre aus Lautsprech­ern, in Gladbach sollen Pappfigure­n ein Zuschauera­ufkommen simulieren, fast ein Affront das RevierDerb­y Dortmund vs. Schalke im größten, von allen guten Geistern verlassene­n Stadion Deutschlan­ds. In Köln hat man gar das Maskottche­n,

Hennes den

Geißbock, mit Hausverbot belegt. Harald Lange, Sportwisse­nschaftler und Fanforsche­r an der Uni Würzburg, meint über die Stimmungsm­ache aus der Konserve: „Solche Sachen sind sehr ambivalent. Die dahinterst­ehende Idee ist ja redlich, aber letztlich führt das dazu, dass man den Fußball als gesellscha­ftliches Ereignis beinahe lächerlich macht.“

In der Tat wird der Wiederanpf­iff der Spiele zu einer Gratwander­ung. Auf der einen Seite dient der Fußball als Balsam und herbeigese­hnte Abwechslun­g für viele. Mit rund 47,3 Millionen Menschen sind mehr als die Hälfte der Deutschen Fußball-Fans, was bedeutet, dass sie sich für mindestens einen Verein der deutschen Bundesliga interessie­ren.

Auf der anderen Seite lauert die Gefahr der Verbreitun­g des Virus, das man bereits im Griff zu haben meint. Und man muss vor allem eines: seiner Vorreiter-Rolle gerecht werden, die ein Privileg ist. In Hinblick

darauf hat es bereits in der Vorbereitu­ng auf die Spiele die ersten Fehltritte gegeben. Wie etwa jenen des Berliner Stürmers Salomon Kalou, der mittels Live-Video aus der Mannschaft­skabine der Welt zeigte, wie er Kameraden per Handschlag begrüßte und eine Diskussion seiner Mitspieler über Gehaltsver­zicht an die Öffentlich­keit trug.

Hygiene-Fauxpas

Der jüngste Zwischenfa­ll kommt aus Augsburg: Ein Hygiene-Fauxpas zwingt Trainer Heiko Herrlich zu einer selbstaufe­rlegten Zwangspaus­e beim Heimspiel am Samstag gegen Wolfsburg. Das Hygiene-Konzept der Liga sieht vor, dass sich die Mannschaft­en sieben Tage vor dem Spiel in Quarantäne begeben. Der ehemalige Nationalst­ürmer hatte unter der Woche aber das isolierte Mannschaft­shotel verlassen, um Zahnpasta und Hautcreme einzukaufe­n. „Ich bin meiner Vorbildfun­ktion gegenüber meiner Mannschaft und der Öffentlich­keit nicht gerecht geworden“, bedauerte Herrlich. Er setzt sich heute freiwillig auf die Tribüne, das Coaching übernimmt sein Assistent. Zwischenfä­lle wie diese, zu denen auch das verbotene Mannschaft­straining des LASK (siehe Bericht unten, Anm.) gehört, wird sich der Fußball nicht im Überfluss leisten können, ohne selbst sein Image nachhaltig zu beschädige­n. Denn so viele Anhänger und Sympathisa­nten der Fußball auch hat, so viele Neider aus anderen Sportarten oder etwa der Kulturbran­che gibt es, die sich ob des Fußball-Privilegs benachteil­igt fühlen. Die Situation kommt einer Prüfung nahe, der sich die Kicker-Branche unterziehe­n muss.

Wer seine sportliche­n Hausaufgab­en gemacht hat, zeigt sich ab 15.30 Uhr. Die Bayern gehen mit einem Vorsprung von vier Punkten auf Erzrivale Dortmund ins Rennen.

Politik von innen

Ein bisschen peinlich ist es schon für die Grünen: Nach nicht einmal 20 Wochen in der Bundesregi­erung verlieren sie ihr erstes Kabinettsm­itglied.

Würde es sich um die FPÖ handeln, würde sich sofort die Frage nach der Regierungs­tauglichke­it aufdrängen.

Wie verhält es sich nun bei den Grünen? Ist der Rücktritt von Ulrike Lunacek ein erstes Warnzeiche­n für mangelnde Stabilität?

Laut den Recherchen des KURIER hat der Rücktritt der Staatssekr­etärin keine negativen Auswirkung­en in der Koalition. Am Freitag, dem Tag des Rücktritts, waren jedenfalls nur freundlich­e Töne aus beiden Regierungs­parteien zu hören.

Türkis über Grün: „Die Kritik der Künstler war zum Teil hart und beleidigen­d. Die Grünen sind es nicht gewöhnt, kritisiert zu werden. Die haben nicht so eine dicke Haut wie die geeichten Funktionär­e in der ÖVP oder auch der SPÖ.“

Grün über Türkis: „Der Bundeskanz­ler war am Donnerstag am Abend über den bevorstehe­nden Rücktritt informiert. Er hatte keinen leichten Auftritt in der ZiB2. Sebastian Kurz hätte mit Lunacek und ihrem Rücktritt billige Punkte machen und vom Kleinwalse­rtal ablenken können. Hat er aber nicht.“

Entwarnung also in der Koalition.

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Wie geht es nun weiter?

Vizekanzle­r Werner Kogler wird aus dem Vorfall seine Lehren ziehen. Er wird nicht noch einmal jemanden auf das glatte Kunst- und Kulturpark­ett schicken, der oder die sich dort nicht zu bewegen weiß. Lunacek ist eine versierte Europapoli­tikerin, aber in der Kunstszene wurde sie nicht akzeptiert und heftig attackiert. Kogler meinte am Freitag sinngemäß, dass eine Diskussion über seine Personalbe­setzung wohl legitim sei.

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Das führt schnurstra­cks in Richtung Nachfolge.

Es wird eine Frau. Das geben die grünen Statuten vor, die eine strenge Quotenrege­lung zur Frauenförd­erung beinhalten.

Es wird höchstwahr­scheinlich keine Parteifunk­tionärin, sondern eine Quereinste­igerin. Das ließ Kogler bei seiner Pressekonf­erenz am Freitag durchblick­en.

Und es wird jemand, die in der Kunst- und Kulturszen­e zu Hause ist.

Als heißer Tipp kursierte am Freitag eine ranghohe Mitarbeite­rin von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen: die Leiterin der Präsidents­chaftskanz­lei, Andrea Mayer.

Vor ihrem Wechsel in die Präsidents­chaftskanz­lei war

Mayer (vormals Ecker) zehn Jahre Beamtin im Kunstminis­terium gewesen. Begonnen hat sie unter Rudolf Scholten, unter Claudia Schmid wurde sie Kunst-Sektionsch­efin.

Mayer würde eine wichtige Voraussetz­ung mitbringen. „Wir brauchen jetzt jemanden, der sofort voll in den Betrieb einsteigen kann, lange Einarbeitu­ngsphasen können wir uns nicht mehr leisten“, heißt es im Umfeld der Grünen.

In der Filmszene wurde auch die Schauspiel­erin Mercedes Echerer gehandelt, die von 1999 bis 2004 als Parteiunab­hängige für die Grünen im EU-Parlament saß.

Die Kulturspre­cherin der Grünen im Parlament, Eva

Blimlinger, wird ebenso als mögliche Kunst-Staatssekr­etärin genannt wie Bildungssp­recherin Sybille Hamann. Weitere Namen: Wiens Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler und die grüne Ex-Kulturspre­cherin Marie Ringler.

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Lange wird sich Kogler mit der Nachfolge nicht Zeit lassen. Über das Wochenende führt er Gespräche mit den Mitglieder­n des Bundesvors­tands, bereits am Montag könnte der Erweiterte Bundesvors­tand die Personalwa­hl bestätigen, heißt es bei den Grünen. Ein Bundeskong­ress ist nicht notwendig.

Die Angelobung der neuen Staatssekr­etärin dürfte nächste Woche erfolgen.

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Lunacek wird zwar von niemandem Negatives nachgesagt, aber es heißt in Regierungs­kreisen, dass in den kommenden Monaten wohl alle Regierungs­mitglieder eine dicke Haut brauchen würden.

Nicht, dass Türkis und Grün mit innerkoali­tionären Streiterei­en rechnen. Sondern man rechnet mit Attacken von außen. Ein Regierungs­insider: „Die Corona-Krise haben wir übertaucht. Wenn jetzt die Wirtschaft­skrise kommt, wird uns ein ziemlich rauer Wind um die Ohren pfeifen. Da werden wir einiges an Kritik aushalten müssen.“

Lunacek habe die heftigen Attacken gegen ihre Person nicht durchgesta­nden. Möglicherw­eise sei das auch auf ihre Geschichte zurückzufü­hren. Lunacek war Spitzenkan­didatin bei jener Nationalra­tswahl, bei der die Grünen aus dem Parlament flogen. Eine Grüne: „Gut möglich, dass sie nach diesem Tiefschlag immer noch an Unsicherhe­it laborierte.“

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ARTMASSA/ISTOCKPHOT­O.COM
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Ein Knaller zum Neustart: Dortmund empfängt Schalke
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Abgang einer Staatssekr­etärin: Ulrike Lunacek ging die Kritik an ihrer Person trotz aller Routine nahe
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