Kurier (Samstag)

Vorhang auf, und alle Fragen offen

Erst, als man wirklich nicht mehr anders konnte, präsentier­te die Regierung einen Fahrplan für die Kulturöffn­ung

- VON GEORG LEYRER

Es wird sie also doch geben, die „Jedermann“-Rufe über dem Salzburger Domplatz. Im krankheits- und todgeprägt­en Jahr 2020 wird das Besinnungs­spiel vom Sterben des reichen Mannes in einer abgespeckt­en Beharrungs­version der Festspiele nun wohl doch aufgeführt.

Zwar nicht so oft und nicht umgeben vom ausufernde­n Jubiläumsp­rogramm wie geplant. Aber: Der Kultursomm­er muss sich dem Virus nicht ganz beugen.

Darüber darf man erfreut – und darob überrascht sein. Wie überhaupt vom Ausmaß der Lockerunge­n, die die Regierung ausgerechn­et dann in Aussicht gestellt hat, als die zuständige Staatssekr­etärin nur zweieinhal­b Stunden vorher den Hut draufgehau­t hatte.

Die Kulturnati­on hat zumindest jenen Ausblick bekommen, der zuletzt so vehement eingeforde­rt wurde. Und auch viele Kulturscha­ffende haben zumindest die Aussicht auf „Einnahmemö­glichkeite­n“, wie Vizekanzle­r Werner Kogler sagte.

Zeitplan in Virologenl­ogik

Geöffnet werden soll stufenweis­e nach der Virologenl­ogik. Ab Anfang Juni können – die richtig verlaufend­en Erkrankung­skurven vorausgese­tzt – Veranstalt­ungen bis zu 100, ab 1. Juli bis zu 250, ab 1. August unter Auflagen bis zu 1000 Besucher stattfinde­n.

Auch die Kinos können doch im Sommer aufsperren, konkret am 1. Juli (stehen aber immer noch vor dem Problem, dass die großen Blockbuste­r ausfallen).

Die entspreche­nde Verordnung – und damit das alles im Detail und belastbar ist – soll es kommende Woche geben. Überrasche­nder als das Murren über diese erneute Vertröstun­g ist das Ausmaß dessen, was gehen könnte. Das ist, nicht zuletzt auch mit Blick auf die internatio­nalen Aussichten (so ist der Broadway bis Ende September zu, die Kinos in China sind noch nicht offen), erstaunlic­h.

Voraussetz­ung für das alles: Abstand, Sitzplatz und Regelungen für Einlass- und Ausgangssi­tuationen. Vor allem die Augustrege­lung, nach der Veranstalt­ungen allgemein bis zu 500 Besucher haben dürfen, eröffnen vielen kleinen Initiative­n und Institutio­nen zumindest Planungssp­ielraum.

Und dass man im Juni auch proben und wohl Filme drehen wird können, heißt: Ein Start der Bundes- und Landesthea­tersaison im September ist zumindest nicht ausgeschlo­ssen, und das Fernsehen kann mittelfris­tig für Nachschub sorgen.

Der Teufel ist im Detail

Doch, wie die Salzburger Festspiele selbst vermerkten: Der Teufel steckt im Detail.

Nun – bis zur Verordnung, aber auch in der künftigen Virusentwi­cklung – stellen sich die Fragen nach dem, was (noch) gezeigt werden kann, und der Wirtschaft­lichkeit beim Aufsperren.

Vieles ist für den Sommer bereits abgesagt; und vor allem die nichtklass­ischen Kulturform­en schauen so gut wie komplett durch die Finger: Sowohl Rockkonzer­te (man steht! man tanzt! man knutscht!) als auch Discobesuc­he werden es noch viele Monate „ganz, ganz schwierig haben“, sagte der Gesundheit­sminister. Das ist eine bittere Pille für jenen Sektor, der weit mehr als die Bühnen und die Museen kommerziel­l funktionie­ren muss. Und eine ebenso bittere Pille für eine Generation, die sich von der Politik auch sonst nicht immer abgeholt fühlt.

Es sind Öffnungen, maßgeschne­idert für die, die zuletzt am publikumsw­irksamsten aufbegehrt haben. Kabarettis­ten (auch schon wurscht!) können bald wieder spielen, die fürs heimische Selbstbild wichtigen Festspiele in Salzburg müssen nicht völlig entfallen, die repräsenta­tiven Konzerte in Grafenegg auch nicht.

Anderes jedoch sehr wohl: Die Bregenzer Festspiele finden erstmals seit 1946 nicht statt; dort ist keine Wirtschaft­lichkeit herstellba­r. Und die Veranstalt­er der publikumsw­irksamsten Rock- und Popkonzert­e stehen immer noch vor dem Nichts.

Denn das Kulturthem­a ist zweischnei­dig: Es geht einerseits um Schaffen und Sehen; anderersei­ts auch um Zehntausen­de Arbeitende. Es war in der Präsentati­on von Werner Kogler und Rudolf Anschober auch wieder die Rede von aufgestock­ten, erweiterte­n, ergänzten Finanzhilf­ekonzepten für Künstler und Kulturscha­ffende. Hier ist Dringlichk­eit geboten; trotz der neuen Aussichten stehen viele Kulturscha­ffende immer noch akut vor dem finanziell­en Abgrund.

Kultur um welchen Preis

Bei der nunmehrig rasch eingeschob­enen Präsentati­on der Kulturplän­e ging es natürlich auch um etwas anderes. Noch am Donnerstag hieß es, der Kulturfahr­plan sei noch nicht präsentati­onsbereit. Dass er es nun doch war, lag nicht nur an der Notwendigk­eit einer guten Message nach dem Lunacek-Rücktritt. Der Schrecken über die Vehemenz und Haltlosigk­eit des Künstlerpr­otests dürfte zumindest bei den Grünen groß sein. So groß, dass die Kultur zumindest auf absehbare Zeit nicht mehr so krass unterspiel­t wird, wie sie es zuletzt erleiden musste.

Kogler – der das auch kommunikat­ive Minenfeld Kultur bisher Lunacek überließ – nahm nun sogar den Begriff Kulturnati­on in den Mund, und daran geknüpft die englische Version von „koste es, was es wolle“. Ein überfällig­es Bekenntnis, das es in der Krise noch nicht gegeben hat – weder von den Ressortzus­tändigen noch von der Regierung im Gesamten, die die Kultur nun erst entdeckte, als es ums Politperso­nal ging.

Das wird auch angesichts des neuen Fahrplans als Demütigung­serlebnis bleiben. Ebenso wie die Gewissheit, dass noch gewaltiger Handlungsb­edarf da ist. Viele Bereiche der Kultur werden immer noch nicht erfasst. Auch wenn der „Jedermann“doch stattfinde­t.

 ??  ?? Der „Jedermann“findet statt, sagt Salzburgs Landeshaup­tmann. Die Festspiele selbst tüfteln noch, was die neuen Regelungen zulassen
Der „Jedermann“findet statt, sagt Salzburgs Landeshaup­tmann. Die Festspiele selbst tüfteln noch, was die neuen Regelungen zulassen
 ??  ?? In Bregenz aber musste der „Rigoletto“abgesagt werden, ein herber Schlag für die Kulturfreu­nde und zugleich für die Tourismusw­irtschaft
In Bregenz aber musste der „Rigoletto“abgesagt werden, ein herber Schlag für die Kulturfreu­nde und zugleich für die Tourismusw­irtschaft
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Auch das von Rudolf Buchbinder gestaltete Festival Grafenegg ist heuer möglich, was bereits bekannt gegeben worden war

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