Kurier (Samstag)

Die Akte Ibiza: Drahtziehe­r sehen sich als Helden

Hintergrün­de. Ein Jahr nach der Video-Veröffentl­ichung zeigen neue, bisher unbekannte Dokumente: Das Motiv für die Herstellun­g des Films liegt wohl in einer missglückt­en Anzeige gegen Heinz-Christian Strache

- VON DOMINIK SCHREIBER, KID MÖCHEL UND MICHAELA REIBENWEIN

Es ist ein kleines Büro im Bundeskrim­inalamt am Wiener Josef-Holaubek-Platz, in dem wohl der Grundstein für das berühmte Ibiza-Video gelegt wird. Bis die türkis-blaue Regierung gestürzt ist, werden noch mehr als zwei Jahre vergehen. Nur zwei Personen sind anwesend: Ramin M., ein damals kaum bekannter Anwalt für Europarech­t und gleichzeit­ig der spätere mutmaßlich­e Organisato­r des Ibiza-Videos. Auf der anderen Seite des Tisches sitzt Andreas Holzer, Leiter des Büros für Organisier­te Kriminalit­ät im Bundeskrim­inalamt und späterer Chef der SOKO Ibiza.

Es ist der 27. März 2015, 10.50 Uhr. Brisante Angelegenh­eiten werden an Holzers Konferenzt­isch beredet. Wäre diese Besprechun­g anders abgelaufen, dann wäre das Ibiza-Video vielleicht nie angefertig­t worden. Das ergeben teils unveröffen­tlichte Dokumente, die der KURIER nun erstmals sichten konnte.

Das Thema der Unterredun­g im Bundeskrim­inalamt im Jahr 2015: Angeblich „strafrecht­liches Verhalten des FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache“. Der Anwalt schildert dem Kriminalis­ten erstmals jene Details, die erst viel später als Spesenaffä­re bekannt werden sollten.

„Strache soll sich sein gesamtes Privatlebe­n durch Parteigeld­er der FPÖ finanziere­n“, steht im Protokoll. M. erklärt, wie das angebliche Ringelspie­l mit Rechnungen funktionie­rt. Behauptet werden: „Stimmenkau­f, Scheinanst­ellung, Suchtgiftk­onsum und Sonstiges“. Letzteres betrifft das von Strache so geliebte Computersp­iel Clash of Clans, für das er angeblich jeden Monat bis zu 3.000 Euro (aus der Parteikass­e) verzocken soll.

Fest steht, solche Anschuldig­ungen gegen Politiker sind keine Seltenheit. Der Anwalt spricht nur von einem mysteriöse­n Mandanten und sagt nicht, dass es sich dabei um Straches Leibwächte­r Oliver R. handelt. Dieser galt im Verfassung­sschutz (BVT) stets als Sicherheit­srisiko: „Wir haben Strache immer wieder vor ihm gewarnt“, sagt ein hochrangig­er BVT-Mann dem KURIER. Wie sich später herausstel­len wird, hat R. Belege gesammelt, die Strache belasten sollen.

Doch Holzer erfährt davon nichts, Anwalt M. sagt nur, dass sein Mandant grundsätzl­ich mit der Polizei kooperiere­n, aber seine Geschichte auch an Medien weitergebe­n möchte. „Aus Sicht des Bundeskrim­inalamts sind die bis dato gemachten Angaben noch zu vage, um Ermittlung­en umgehend einzuleite­n“, hält Holzer fest. Der erfahrene Ermittler gibt aber nicht auf und versucht den Anwalt mehrfach telefonisc­h zu erreichen – doch dieser meldet sich nicht mehr bei ihm.

***

M. dürfte mit der Besprechun­g nicht zufrieden gewesen sein. Das vermutet auch Detektiv Julian H., der das Video später im Auftrag des Anwalts angefertig­t haben soll. „Aus dem Verhalten des Holzer (...) bis zur Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos wissen wir, dass ohne die eindrucksv­olle Darstellun­g des Maßes an Rechtsvera­chtung des ehemaligen Vizekanzle­rs Strache überhaupt keine Ermittlung aufgenomme­n worden wären“, wird der Verteidige­r von H. später an das Landesgeri­cht für Strafsache­n Wien schreiben.

Greift Anwalt M. also zur Selbstjust­iz? Fühlt er sich von Holzer missversta­nden? Oder geht es nur um Geld?

Zu M. meint der Detektiv (über seinen Verteidige­r) in einem völlig absurden Vergleich: „Der Mann ist ein Held und kein Kriminelle­r“, das Video vergleicht er mit „wenn jemand die Machtergre­ifung von Adolf Hitler zu verhindern unternomme­n hätte, durch ein heimlich aufgenomme­nes Tonzeugnis“.

***

In der Folge werden Haare von Strache immer wieder

Medien (für einen Drogentest) angeboten, niemand will aber auf so eine dubiose Geschichte einsteigen. Vermutlich im Laufe des Jahres

2016 entsteht die Idee, der FPÖ-Führung eine Falle zu stellen. Die Justiz geht davon aus, dass Detektiv H. drei Helfer rekrutiert und M. eine Wohnung verkauft, um das zu finanziere­n. Damit deutet wenig auf weitere Hintermänn­er hin, sonst hätten diese das Geld vorgestrec­kt.

***

Anfang 2017 tritt Anwalt M. an die ihm bekannte Immobilien­treuhänder­in Irena W. heran, die in höchsten FPÖKreisen verkehrt. Er vertrete eine russische Oligarchin, die investiere­n möchte. M. fragt, ob sie eine Brücke zur Familie Gudenus schlagen könne. Verhandlun­gsbasis für fünf Grundstück­e (inklusive Eigenjagd): 15 Millionen Euro.

Bald darauf kommt es zu einem Treffen von Johann Gudenus und seinem Bruder mit der vermeintli­chen Oligarchin Alyona Makarova im Wiener Haubenloka­l Le Ciel. Detektiv Julian H. tritt als ihr Berater auf.

Alleine die Maklerin W. und der Detektiv H. treffen einander noch zehn Mal.

***

Der Lockvogel besichtigt im April 2017 die Ländereien der Adelsfamil­ie Gudenus im Waldvierte­l. Die Maklerin fertigt von dem Treffen ein Video an, um sich abzusicher­n, falls es zu Streitigke­iten um die Provision kommen sollte.

„Es wurde mir dann von Julian H. mitgeteilt, dass das nächste Treffen in Ibiza in der Finca der Oligarchin stattfinde­n wird und dass meine Anwesenhei­t nicht erwünscht ist“, gibt die Maklerin später zu Protokoll. „Julian wusste, dass Johann Gudenus mit seiner Frau im Juli 2017 Urlaub in Ibiza macht.“

***

Im Mai 2017 beauftragt Julian

H. seine Sekretärin Evi F., „im Internet nach Fincas in Spanien“zu suchen. Sie findet drei Objekte. Gebucht wird jene an der Adresse Carretera Ibiza a San Antonio 27040, Parzelle 13 am 18. Juli für drei Nächte um 2.650 Euro – auf den Namen der Sekretärin.

***

Am 20. Juli 2017 bucht Julian H. bei der Restplatzb­örse am Wiener Schwedenpl­atz für sich selbst und einen Begleiter Flüge nach Ibiza. Am 24. Juli kommt es in der Finca zu dem folgenschw­eren Aufeinande­rtreffen, bei dem das Video angefertig­t wird.

***

Nach dem Urlaub auf Ibiza trifft die Maklerin den Detektiv H. noch einmal. Dabei sagt er, „die Oligarchin sei angepisst. Es lief nicht so, wie sie sich das vorgestell­t hatte.“

Auch sonst scheint nicht alles nach Wunsch gelaufen sein. Die Tonqualitä­t des Videos ist dermaßen schlecht, dass das Audiofile in einem Tonstudio in WienNeubau bearbeitet werden muss.

***

Ab Sommer 2017 versucht Anwalt M. offenbar, das Video zu Geld zu machen. Er kontaktier­t dabei laut Dokumenten, die der KURIER einsehen konnte, verschiede­ne PRBerater aus mehreren politische­n Lagern, die M. zum Teil aus Schulzeite­n kennt. M. soll gesagt haben, „dass er eine russische Dame vertritt, die bei einem Grundstück­skauf mit Johann Gudenus enttäuscht wurde. Sie habe viele Gespräche mit Gudenus aufgezeich­net und wolle diese verkaufen.“

Als Preis für das gesamte Material soll M. vier bis fünf Millionen Euro verlangt haben. Doch M. findet keinen Abnehmer, bei dem astronomis­chen Preis keine Überraschu­ng. Noch im März 2018 bietet er das Video einem weiteren PR-Berater der roten Reichshälf­te erfolglos an.

***

Im Laufe des Jahres 2018 meldet sich Polizei-Informant Slaven K. bei einem Salzburger Polizisten, der unter Kollegen als FPÖ-Sympathisa­nt gilt, und berichtet von einem

Video, das Vizekanzle­r Strache stark belasten würde. Dieser sei „im Arsch“. Zu dem Treffen soll ein Polizeiber­icht angelegt worden sein.

***

Im April 2019 sorgt der Satiriker Jan Böhmermann bei der KURIER-ROMY-Gala für Aufregung. Er macht Andeutunge­n über ein Treffen in einer Oligarchen-Villa auf Ibiza. Kurz darauf erscheint Straches Bodyguard Oliver R., offenbar bei seinem Anwalt M., und behauptet, er arbeite nun für einen Sondereins­atzstab von Innenminis­ter Herbert Kickl, der nach dem Video sucht. (Kickl bezeichnet das Existieren eines solchen Stabes auf Anfrage als „klassische Fake News“.)

***

Am Abend des 17. Mai 2019 veröffentl­ichen deutsche Medien eine siebenminü­tige Sequenz des Ibiza-Videos.

***

Am 6. Juni 2019 kommt es in der Wiener Anwaltskan­zlei von Johann Pauer zu einem spannenden Treffen. Anwesend sind: Pauer, Strache, dessen Frau Philippa, ein weiterer Anwalt Straches aus Berlin, der Salzburger FPÖ-Funktionär (und Berufssold­at) D. und der Informant aus dem Jahr 2018, Slaven K. Der erzählt viel Unglaublic­hes über den Detektiv H. und die Hintergrün­de, 400.000 Euro solle die Langversio­n des Videos kosten. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass K. vermutlich gar keinen Zugang dazu hat.

***

Am 12. Juni trifft D. den Informante­n K. und zeichnet das Gespräch auf. K. behauptet, dass die Herstellun­g des Videos 200.000 Euro gekostet habe und der Film für 600.000 Euro verkauft worden sei.

***

Im November 2019 gibt es Hausdurchs­uchungen und Verhaftung­en von drei angebliche­n Komplizen, auch das Equipment für den Videodreh wird bei einer Lokalbekan­ntschaft von H. (aus dem „Atrium“am Schwarzenb­ergplatz in Wien) gefunden: „Bei diesen Geräten handelt es sich um versteckte Kameras in manipulier­ten Lichtschal­tern, Radiowecke­rn, Attrappen von Kaffeebech­ern etc. sowie bspw. Mikrofone in Form von Jackenknöp­fen usw.“, heißt es im Bericht der SOKO Ibiza/Tape. Auf den Überwachun­gsgeräten wird auch eine DNA-Spur gefunden. Diese gehört zu Detektiv H. Er wird seither mit einem Europäisch­en Haftbefehl gesucht. Der Verdacht: versuchte Erpressung und Suchtgifth­andel sowie Missbrauch von Tonaufnahm­en und Abhörgerät­en.

Den Sitz seiner Firma K. verlegt er im Herbst 2019 ebenso nach Berlin wie seinen Wohnsitz. Das Bundeskrim­inalamt lässt nichts unversucht, den Detektiv zu finden. Handy-Funkzellen sollen ebenso ausgewerte­t worden sein wie Passagierl­isten der Fluglinien. Bisher vergeblich. Alle Beteiligte­n bestreiten, sich straf bar gemacht zu haben.

 ??  ??
 ??  ?? Ermittler Holzer erfuhr zunächst nur die halbe Wahrheit
Ermittler Holzer erfuhr zunächst nur die halbe Wahrheit
 ??  ?? KURIER-Recherchen zeigen nun auf, wie es zu dem berühmten „Zack, zack, zack“-Video in der Finca gekommen sein dürfte – die Geschichte beginnt bereits im Jahr 2015
KURIER-Recherchen zeigen nun auf, wie es zu dem berühmten „Zack, zack, zack“-Video in der Finca gekommen sein dürfte – die Geschichte beginnt bereits im Jahr 2015
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria