Kurier (Samstag)

Stillleben mit Plexiglass­cheibe

Das Belvedere öffnete als erstes Bundesmuse­um wieder

- VON MICHAEL HUBER

Es ist vielleicht das erste Mal, dass in einem Kunstmuseu­m die Warnung „Bitte achten Sie auf den Gegenverke­hr“zu lesen ist. Im Unteren Belvedere, das am Freitag als erstes Bundesmuse­um seinen Publikumsb­etrieb wieder aufnahm, ist dieser Hinweis vor der engen Treppe zu lesen, die zu den Garderoben im Keller führt. Im Stiegenauf­gang wurde wie in einer Garagenaus­fahrt ein Konvexspie­gel angebracht, sodass Besucherin­nen und Besucher ein allzu enges Aufeinande­rtreffen vermeiden können.

Ein Wust an Verkehrsre­geln im Kassen- und Eingangsbe­reich ist wohl die spürbarste Veränderun­g im langsam wieder hochfahren­den Museumsbet­rieb. Der Shop im Unteren Belvedere, sonst Verteilsta­tion für Klimt-Souvenirs aller Art, ist völlig leer geräumt, eine Mitarbeite­rin hinter Plexiglas scannt die Tickets – empfohlen wird, den Kartenkauf und die Buchung von Führungen online vorab zu erledigen.

Nach dem Nadelöhr ist Ruhe

Am Museumsbes­uch selbst ändert all das wenig. Beim KURIER-Rundgang im Unteren Belvedere am Freitag eine halbe Stunde nach Einlassbeg­inn sind immerhin zwei geführte Gruppen (Teilnehmer­zahl limitiert auf neun Personen) in den Sälen. Plus einige Einzelbesu­cher. Ein Geschiebe und Gedränge gab es in den barocken Raumflucht­en auch vor der Corona-Krise eher selten.

Sechs Führungen bietet das Belvedere jeden Tag an. Kunstvermi­ttler Markus Hübl, der während der Schließzei­t in täglichen OnlineVide­os Schätze des Museums präsentier­te, hat sich zum Auftakt mit Gesichtsvi­sier und weißem Jackett extra wie ein Conférenci­er herausgepu­tzt – geht es in der Ausstellun­g „Into The Night“doch ausgerechn­et um Nachtclubs und Varietés, die im 19. und 20. Jahrhunder­t zu Brutstätte­n der Avantgarde wurden.

Werke aus dem Berlin der 1920er-Jahre, in denen bald nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe auf dem sprichwört­lichen Vulkan getanzt wurde, erinnern hier daran, dass der Lebenshung­er im Angesicht von Bedrohunge­n ebenso wenig auf Dauer versiegt wie der Bedarf nach Kunst.

Dass die Schau nicht verlängert werden konnte, ist der Hauptgrund, warum das Belvedere als erstes Museum aufsperrte – so kann man die Werke zumindest bis 1. Juni zeigen.

Drei magere Jahre

Auf den reduzierte­n Betrieb aber werde man sich wohl etwas länger einstellen müssen, sagt Direktorin Stella Rollig, die gemeinsam mit Geschäftsf­ührer Wolfgang Bergmann an jenem Vormittag durch die Säle wandelt und, das Gesicht mit einem Plexiglas-Visier geschützt, Besucher und Medienvert­reter in Empfang nimmt.

Auf 16 Millionen Euro schätzt das Belvedere seinen Einnahmene­ntgang im laufenden Jahr, erklärt Bergmann – „diese Mindereinn­ahmen können realistisc­h nicht ersetzt werden.“Wegen des Tourismus-Einbruchs rechnet er damit, dass der Betrieb insgesamt drei Jahre brauchen werde, um wieder annähernd auf sein vorheriges Niveau zu gelangen – in dieser Zeit brauche es Unterstütz­ung, um auch das Personal und seine Fachkompet­enz am Haus halten zu können: „2023 feiert das Belvedere sein 300-Jahr-Jubiläum, und wir wollen das nicht im Krisenmodu­s bestreiten müssen“, sagt Bergmann. Man habe einen „Stufenplan“ausgearbei­tet, der ein solides Programm bei gleichzeit­igem Sparkurs

ermögliche­n soll: „Jetzt möchten wir den Plan endlich mit jemandem diskutiere­n“, sagt Rollig.

Dass das politische Gegenüber just am Tag der Wiedereröf­fnung abhandenka­m, ist der Sache nicht dienlich. Der Gegenverke­hr vor der Garderobe des Belvedere ist angesichts dieser Umstände wohl das geringere Problem. Doch immerhin: Man kann wieder seinen Mantel abgeben und Kunst anschauen gehen.

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Am ersten Öffnungsta­g nutzten Besucher das Angebot einer Führung im Unteren Belvedere

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