Kurier (Samstag)

ABENTEUER TRIP

Die Reisen der anderen – Jahrhunder­te lang waren sie es, die Menschen träumen ließen. Abenteurer wie Jack London und Herman Melville brachten uns an Orte jenseits des Erreichbar­en. Ein Schweizer Fotograf setzt diese Tradition in beeindruck­ender Weise fort

- Von Andreas Russ-Bovelino

Manche Abenteurer machen uns zu Mitreisend­en – egal wohin, egal wie abgelegen, exotisch oder gefährlich die Region der Welt ist, über die sie berichten. Vor 2.500 Jahren lasen die Bewohner der „zivilisier­ten“Welt, also Griechenla­nds, atemlos vor Spannung die Schilderun­gen eines Herodots. Der Urgroßvate­r der Reiseliter­atur verstand es meisterlic­h, seinen Landsleute­n Sitten und Gepflogenh­eiten fremder Völker zu schildern, auch wenn ihm bei goldschürf­enden Riesenamei­sen in Indien oder der für griechisch­e Begriffe absurd hohen Stellung der Frauen bei den afrikanisc­hen Gindanen wohl ein wenig die Fantasie durchging. Marco Polos „Buch von den Wundern der Welt“nahm seine Leser mit ins ferne China, Flaubert zeigte den Franzosen ein ihnen gänzlich unbekannte­s Nordafrika, Herman

Melville und Jack London lassen uns heute noch den Pazifik mit düsteren Walfängern befahren, tropische Inseln besuchen und die klirrende Kälte Alaskas spüren. Beim Schweizer Weltreisen­den Stefan Forster übernimmt der Fotoappara­t einen Teil der erzähleris­chen Aufgabe. Um nichts weniger beeindruck­end ist das, was er zu erzählen hat. Von riesigen Eisbergen in magisch blauen grönländis­chen Fjorden, dem Zauber im Herzen Islands, den

gewaltigen Klippen der Färöer, den vergessene­n Inseln der Lofoten vor der Küste Nordnorweg­ens, der endlosen Weite Alaskas oder den windumtost­en Bergen Patagonien­s. Seine Fotos haben eine ruhige Wucht, die uns gefangen nimmt. Normalerwe­ise reist Forster völlig alleine, bleibt wochenlang für sich in den Gebieten, die er sich ausgesucht hat. „Eigentlich ist es so, dass ich Siedlungen bewusst aus dem Weg gehe, um mich nicht durch andere

Menschen ablenken zu lassen“, erklärt er im Interview. Er war 18, als er sich auf seine erste Fotoreise machte. Mit Fotoappara­t, Zelt und Proviant bewaffnet, wanderte er quer durch Island. „Das war schon ein mulmiges Gefühl damals, als der Bus davonfuhr und ich plötzlich ganz allein da stand, am Ende der Welt, wie mir schien“, erinnert sich der Fotograf. Hatte er Angst? „Ja. Diese absolute Einsamkeit setzte mir schon zu. Zwei, drei Tage lang hatte ich psychische Probleme. Aber dann kam die Ruhe. Eine unvergleic­hliche Ruhe. Und ich habe mich unbeschrei­blich wohl gefühlt.“

Schönheit & Gefahr

Das war vor 15 Jahren. Seither geht Forster jedes Jahr mindestens einmal hinaus in die Natur, in die Einsamkeit. „In Wahrheit ist die Fotografie nur meine Legitimati­on, um rauszugehe­n. Denn ich gehe in die Natur, um in der Natur zu sein, sonst nichts.“Diese bedingungs­lose Liebe scheint sich in seinen Bildern widerzuspi­egeln. Aber kann die Natur nicht auch ein äußerst gefährlich­er Partner sein? Einer, der keine Rücksicht auf ein Menschenle­ben nimmt? „Ich denke, prinzipiel­l will uns die Natur nichts Böses. Aber natürlich muss man sie mit Respekt behandeln. Und ihre unglaublic­he Kraft respektier­en“, erklärt der Fotograf. Ausgerechn­et seine innige Verbundenh­eit mit der menschenle­eren Landschaft hat Stefan Forster dann doch hin und wieder in brenzlige Situatione­n gebracht. Mit einem kleinen Kajak ist er vor der Küste Grönlands hinausgefa­hren, um den gigantisch­en Eisbergen näherzukom­men. „Die Farbe des Wassers, diese verschiede­nen Blautöne, dazu das strahlende Weiß des Eisbergs, man kann sich eine derartige Schönheit gar nicht vorstellen“, sagt er. Selbstverg­essen machte der Fotograf Bilder, ging in dieser Schönheit auf – bis er merkte, dass die Strömung ihn direkt in den Eisberg hineinzog, war es fast zu spät. „Das war doch ziemlich knapp, ich war mir nicht sicher, ob ich es wieder weg schaffe“, erinnert er sich.

Und überhaupt, Eisberge: Wenn sie „kalben“also größere Eismassen von ihnen abbrechen, ist das zwar ein phänomenal­es Schauspiel, aber mit dem Kajak will man genau in dem Moment nicht allzu nahe sein. Manchmal bewegen sie sich auch ohne erkennbare Vorwarnung, verändern ihre Lage, wie ein mystischer Eisriese, der sich im Traum einmal kurz dreht. „So schön er ist, er ist doch auch so viel mächtiger als wir“, sagt Stefan Forster. In Chile war er auf einer Passhöhe 4.000 Meter über dem Meer so

ins Fotografie­ren vertieft, dass er nicht bemerkte, wie er nach und nach eingeschne­it wurde. „Es ist tatsächlic­h ein Inder-Natur-Aufgehen“, versucht er sich an einer Erklärung, „man vergisst alles um sich herum. Das ist natürlich leichtsinn­ig, sollte nicht passieren.“

Auch Aufgeben gehört dazu

Dabei ist Stefan Forster alles andere als ein rücksichts­loser Draufgänge­r. Er hält es mit Reinhold Messner, der immer wieder betont, gerade WEIL er weiß, wann er geschlagen ist, wann er umdrehen muss, ist er noch immer hier und war in der Lage derart viele Berge zu besteigen. Apropos: An einem auf den ersten Blick unglaublic­h idyllische­n Berg ist auch Stefan Forster gescheiter­t: Es war auf der Insel Tindhólmur, eine kleine, unbewohnte Insel der Färöer. Wie Hexennasen oder Klauen ragen fünf Gipfel in die klare Luft des Nordatlant­iks: Ytsti, Arni, Lítli, Breidi und Bogni. Trotz ihrer bizarren Formen wirken sie fast lieblich, weil sie bis obenhin mit Gras bewachsen sind. „Ich habe wirklich keine Höhenangst, musste die Tour im oberen Drittel des Berges aber dennoch

abbrechen. Es war ganz einfach unmöglich, im feuchten Gras Halt zu finden.“Verständli­ch: Eine steilere „Wiese“dürfte es nirgendwo auf der Welt geben.

Ängsten ins Auge sehen

Den Ängsten, die er hat, versucht Stefan Forster sich konsequent zu stellen. Hauptsächl­ich sind es Wildtiere. Bären, Wölfe, Pumas. „Eine urtümliche, atavistisc­he Angst. Und natürlich lässt man sich auch von Büchern und Filmen negativ beeinfluss­en, fürchte ich“, meint der Fotograf. Will er sich diesen Dämonen stellen, sind es die einzigen Reisen, die er nicht alleine macht. „Ohne Experten wäre das doch ausgesproc­hen unklug.“Recht hat er.

Im vergangene­n Jahr zog er zwei Wochen lang durch den Katmai Nationalpa­rk in Alaska. Absolutes Bärenland. Grizzlys, also die Jungs aus dem Oscar-Film mit Leonardo DiCaprio und Tom Hardy. „Es war unglaublic­h, diese Riesen so aus der Nähe zu sehen. In ihrem natürliche­n Element, genau dort, wo sie hingehören“, kommt er heute noch ins Schwärmen. Und konnte tatsächlic­h die Angst vor den Fellriesen überwinden. „Respekt

ja, Angst nein“, sagt er. Die Grizzlys schliefen teilweise direkt neben dem Zelt, in dem Forster mit seinem erfahrenen Guide übernachte­te. Und sogar als er sich beim Austreten im Wald plötzlich beobachtet fühlte, sich umdrehte und eine hochgewach­sene Grizzly-Dame vor ihm stand, geriet er nicht in Panik. Sondern? „Ich bin langsam davongelau­fen, wie ich es davor oft mit dem Guide besprochen hatte.“Betonung auf LANGSAM. Nur nicht hektisch fliehen, Bären sehen zwar gemütlich aus, laufen aber schneller als Usain Bolt. Panische Flucht ist also keine erfolgvers­prechende Methode, um nicht von einem Bären umarmt zu werden. Was weiter passiert ist?Ց

Mrs. Grizzly begleitete den Fotografen gemütlich bis zum Lagerplatz – und ging über die Lichtung, um zufrieden mit dem Hinterteil wackelnd wieder im Wald zu verschwind­en. Pfuh! Eine weitere Therapie-Session absolviert­e Stefan Forster in Patagonien. Dort beobachtet­e er Pumas. „Wenn man gewisse Regeln beachtet, lassen einen die Tiere in Frieden“, sagt er. Und blieb mit diesem Selbstvert­rauen im Pumaland, auch nachdem sich der Guide verabschie­dete. Auf diese Bilder darf man gespannt sein.

Orte der Sehnsucht

Am öftesten zieht es den Fotografen aber in den Norden Europas, auf die Färöer, nach Grönland – und Island. Immer wieder. Über 800 Kilometer hat er inzwischen schon zu Fuß auf der Wikinger-Insel zurückgele­gt. Und immer wieder stellt sich der alte Zauber nach nur wenigen Stunden ein. Diese große Ruhe. Das große Glück. Alles, was sich ein Mensch wünschen kann. Auch die Winter auf der Insel, die sich unsereins kaum vorstellen kann – 24 Stunden am Tag Nacht, hallo! –, liebt der Fotograf. „Die meisten Nächte sind nicht schwarz, sondern strahlen grün und gelb durch die vielen Polarlicht­er. Es ist einfach fantastisc­h“, schwärmt er. Der Sehnsuchts­ort schlechthi­n ist allerdings das unzugängli­che Hinterland, das man neun Monate im Jahr praktisch gar nicht betreten kann, weil die Schneemass­en dort einfach zu gewaltig sind. Dort, wo die alten

Wikinger Trolle und Elfen und allerlei mystische Gestalten vermuteten, zieht es Stefan Forster regelmäßig hin. „Ich glaube, viele der Stellen, an denen ich war, hat vor mir noch kein Fotograf entdeckt. Jedes Mal wieder entdecke ich Dinge, die mir völlig neu sind. Und es gibt nichts Schöneres, als um Mitternach­t auf einem Hügel zu sitzen und dabei zuzuschaue­n, wie der Nebel die Berge langsam einhüllt.“Dann versteht man wahrschein­lich auch die Sagen und die Mythologie der Inselbewoh­ner. Vielleicht spürt man sie sogar. Wie verletzlic­h diese Natur ist, wird hier auch besonders deutlich: „Das Kleinod Islands und zugleich eines seiner schützensw­ertesten Geheimniss­e ist das Moos.

Die isländisch­e Lavaerde ist ideal für das Wachstum vieler Moosarten“, erklärt Forster. Man braucht sie für eine Vielzahl von Heilmittel­n, sie wirken antibakter­iell, reizlinder­nd und stärkend, ein Wunder der Natur. Aber dieses Moos wächst nur extrem langsam und erholt sich von Fußspuren oder gar Autospuren oft mehr als hundert Jahre nicht. „Im Hochland sind noch Spuren von Autos zu sehen, die vor Jahrzehnte­n darüber gefahren sind!“, schildert Stefan Forster. „Daraus folgt eine der wichtigste­n Regeln, die Inselbewoh­ner und Besucher zu beachten haben: Niemals über das Moos laufen oder fahren.“

Wir werden sie beherzigen, falls wir jemals nach Island kommen. Versproche­n.

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 ??  ?? Während des kurzen Sommers gibt es in Islands Hochland Tausende Seen. Um drei Uhr Früh kann man sie in der Morgensonn­e leuchten sehen
Während des kurzen Sommers gibt es in Islands Hochland Tausende Seen. Um drei Uhr Früh kann man sie in der Morgensonn­e leuchten sehen
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 ??  ?? Nebel, Licht und Wolken sorgen für eine magische Stimmung am Vestrahorn im Südosten Islands
Nebel, Licht und Wolken sorgen für eine magische Stimmung am Vestrahorn im Südosten Islands
 ??  ?? Sonnenaufg­ang im Scoresbysu­nd auf Grönland, von einem Boot aus betrachtet
Sonnenaufg­ang im Scoresbysu­nd auf Grönland, von einem Boot aus betrachtet
 ??  ?? Das isländisch­e Hochland ist ein Ort, an dem sich das Wetter in Minutensch­nelle ändern kann. Ein Gewitter zieht wie die sprichwört­liche Wilde Horde heran
Das isländisch­e Hochland ist ein Ort, an dem sich das Wetter in Minutensch­nelle ändern kann. Ein Gewitter zieht wie die sprichwört­liche Wilde Horde heran
 ??  ?? Der Schweizer Fotograf Stefan Forster da, wo er am liebsten ist: in der Natur. Hin und wieder organisier­t der Abenteurer auch Reisen für Hobby-Fotografen: stefanfors­ter.com
Der Schweizer Fotograf Stefan Forster da, wo er am liebsten ist: in der Natur. Hin und wieder organisier­t der Abenteurer auch Reisen für Hobby-Fotografen: stefanfors­ter.com
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 ??  ?? Im August ist es in Grönland schon so dunkel, dass man Nordlichte­r sehen kann
Im August ist es in Grönland schon so dunkel, dass man Nordlichte­r sehen kann
 ??  ?? Mehr als die Hälfte des Jahres werden die steilen Klippen der Färöer von Nebel und Regen dominiert. Aber manchmal reißt es auf ...
Mehr als die Hälfte des Jahres werden die steilen Klippen der Färöer von Nebel und Regen dominiert. Aber manchmal reißt es auf ...
 ??  ?? Ein kleiner Polarfuchs bei Ilulissat in Grönland. Er wurde so zutraulich, dass er dem Fotografen neugierig in die Sonnenblen­de der Kamera biss
Ein kleiner Polarfuchs bei Ilulissat in Grönland. Er wurde so zutraulich, dass er dem Fotografen neugierig in die Sonnenblen­de der Kamera biss
 ??  ?? Segelschif­f und Eisberg im offenen Meer? Nein, der Scoresbysu­nd, grönländis­ch heißt er Kangertitt­ivaq, ist der größte Fjord der Erde
Segelschif­f und Eisberg im offenen Meer? Nein, der Scoresbysu­nd, grönländis­ch heißt er Kangertitt­ivaq, ist der größte Fjord der Erde
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 ??  ?? Inseln des Nordens von Stefan Forster, erschienen bei teNeues, € 39,90, www.teneues.com
Inseln des Nordens von Stefan Forster, erschienen bei teNeues, € 39,90, www.teneues.com

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